Facing the Storm

Normale Version: A Drop of Life
Du siehst gerade eine vereinfachte Darstellung unserer Inhalte. Normale Ansicht mit richtiger Formatierung.
Ask the Desert
For the Cost of Rain

Die Schönheit der Wüste ließ sich nicht an ihrer Prächtigkeit messen oder der schieren Gewaltigkeit von Nichts, wenn Düne um Düne am Horizont die letzten Sonnenstrahlen verschluckten. Was man in der Hauptstadt als schön betitelte, die bunten Farben, die paradiesischen Gärten mit Vogelzwitschern, mit all dem konnte die Wüste nicht dienen, und viele fanden es erschreckend, wie arm sie an Leben war, wie unbarmherzig sie jeden Funken verschluckte und nicht zurückgab. Dabei war es die Abwesenheit von Leben, die sie so schön machte. Die Stille, weil kein Vogel zwitscherte, keine Ratte durch Dreck kroch, kein Wind durch die Gassen fegte; hier war man gezwungen, sich zu finden und mit sich in Einklang zu sein.
Wenn man die Wüste fragte, würde sie wahrscheinlich antworten, sie käme gut ohne Lebewesen zurecht, aber hin und wieder waren es doch genau jene Lebewesen, die sich in die Wüste verirrten und dort einnisteten. In der Windstille verriet eine Spur im Sand, dass sich ein Tier aus dem Sand grub und der Hitze strotzte, hier hörte man es einer Felsspalte kriechen, und die Wüste? Sie akzeptierte jene, die willens genug waren, sich ihren Bedingungen anzupassen und den Umständen zum Trotz zu überleben. Das hatte eine ganz eigene Schönheit an sich, die keine Stadt des Kontinents je würde replizieren können.

Fast lautlos bewegten sie sich über den Sandstein, so daran gewöhnt, das Gewicht gleichsam zu verlagern, dass sie in der ruhigen Geräuschkulisse kaum als Störung wahrgenommen wurden. Für Devan war die Wüste sein Zuhause, ein Überbleibsel aus den Schatten seiner Kindheit, die heute besonders lange Strecken schlugen. In dem Schein des fast vollen Mondes brauchten sie keine Fackeln, um sich zurechtzufinden, genauso wenig wie Zariyah jemanden brauchte, der sie über die Dünen und Steppen an ihr Ziel leitete. Knapp hinter ihr zurückgefallen, betrachtete Devan den schmalen Rücken mit den knochigen, sehnigen Schultern, die durch die sandfarbenen Stoffbahnen prominent hervorlugten. Ihre schweren Locken waren sorgfältig nach hinten gesteckt, um ihr nicht lästig ins Gesicht zu fallen - genau in der gleichen Manier, wie er pflegte, seine Haare in der Wüste nach hinten zu stecken. Sicher bewegte sie sich auf dem Sand, bis er hartem Stein wich, und Devan trat in ihre Fußstapfen, weil Zariyah sie genauso sicher setzte, wie er sie setzen würde. Eine Armlänge trennte sie voneinander, die sich auch nicht dezimierte, als sie plötzlich stehen blieb und jeder andere vermutlich in sie reingelaufen wäre. Jeder andere, der nicht Devan hieß und nun einen Blick über ihre Schulter warf auf den Felsen, der sich vor ihnen auftürmte.
“Sind wir da?”, fragte er in die Stille hinein, seine Stimme durch den Stoff vor seinem Gesicht leicht gedämpft. Sein Blick kletterte hoch an dem großen, nackten Felsen, der das Mondlicht abschirmte und einen großen, schwarzen Schatten vor ihre beiden Füße warf, dann richtete er sich wieder auf die junge Frau vor ihm. Noch bevor sie ihren Weg fortsetzen konnte, legte sich seine Hand auf ihre Schulter und hinderte sie an ihrem Vorhaben. Ohne Worte nickte er auf die Stelle vor ihr.
Ein kleiner Skorpion krabbelte über den Boden an ihnen vorbei, genau den Weg kreuzend, den Zariyah mit ihrer Fußsohle gewählt hätte. Devan, der Lebewesen durchaus schätzte, würde nicht einfach seine Vorstellung von Gleichgewicht wegwerfen und dem Tier ein schnelles Ende bereiten. Nicht, wenn es nicht notwendig war. Nicht, wenn Skorpione - im Gegensatz zu Menschen - den Regeln der Wüste nicht strotzen, sondern sich ihnen anpassten.
Es war immer ein Tanz gewesen, den sie und Devan führten. Ein Tanz, bei dem jeder Schritt, jeder Blick, jede Bewegung nur einen Wimpernschlag entfernt von Leben oder Tod bedeutete. Zariyahs Augen schienen vom nahezu taghellen Mondlicht gefangen zu sein, doch Wirklichkeit hatte sie ihr Ziel am nahen Horizont schon seit einer Weile im Blick. Sie kannte den Felsen, kannte jedes einzelne Rissmuster, jeden noch so winzigen Vorsprung, der sie davor bewahrte, unhaltbar in ihr Verderben zu stürzen. Und sie kannte die Geschichten, die ihm die Wüste eingeprägt hatte. Der Monolith, so viel größer und erhabener als all die anderen der Region, war mehr als nur ein Hindernis. Er war eine Mahnung, ein Sinnbild der ständigen Herausforderung, die in dieser endlosen Leere auf sie wartete. Die Wüste war nie einfach. Sie war ein Gegner, der niemals nachließ, der nie Erbarmen zeigte. Sie kannte keine Gnade, und doch war sie mit ihr verbunden – nicht aus Liebe, sondern aus Notwendigkeit.

Devans Anwesenheit war selten geworden. Und vermutlich gerade deswegen mehr als erwünscht. Er war der Schatten in ihrem Rücken, der mit seinen leisen Schritten, die nur sie im Ansatz zu vernehmen wusste, die allgegenwärtigen Stille aufbrach. Die eine Armlänge zwischen ihnen war nie zu viel, nie zu wenig. Der Abstand war genug, dass sie die Kontrolle behielt, aber auch nahe genug, um die feine Spannung zu spüren, die ihn umgab. Die Verbindung zwischen ihnen war eine jener, die zwischen zwei Überlebenden der Wüste bestand, zwischen zwei Menschen, die sich an den Härten dieser Welt geschärft hatten. Ob nun gewollt oder nicht. Und Devan wusste es, er wusste, dass Zariyah dieses Mal nicht einfach nur mit ihm ging. Sie führte ihn, genauso wie er sie sonst immer führte. Ihre Schritte waren synchron, der Rhythmus der Wüste, das schwere Atmen des Windes, das Lächeln der Düne, die vom Mond küssende Nacht. Nichts, was die Wüste ihnen antun konnte, würde ihre Schicksale jemals voneinander trennen können. Und dennoch war es etwas in dieser Stille, dass sie etwas anderes fühlte. Etwas, das sie tief in ihrem Inneren zu verstecken versuchte. Diese Kluft zwischen ihnen, das, was Devan beigebracht und was sie zu tun gedachte, schürte eine Unruhe in ihr, die sie nicht zu benennen wusste.

»Alle Achtung«, beantwortete sie seine Frage - ob der Offensichtlichkeit der Antwort - mit einer feinen Spur Spott, als sie die Hand auf ihrer Schulter spürte und in instinktivem Vertrauen jegliche Bewegung einstellte. In diesem Augenblick nahm sie auch schon die flinke Bewegung im Staub wahr. Ein Skorpion. Ein winziges, aber gefährliches Tier, dessen Königreich sie ungefragt betreten hatten. Sie kannte seine Art, kannte die Wirkung seines Gifts genauso gut wie den röchelnden Klang derjenigen, die daran starben. Devan hatte einen anderen Blick auf das Leben in dieser trostlosen Weite. Wertete sie anders. Zariyah beobachtete den Skorpion, der mit seiner schnellen, fast unmerklichen Geschwindigkeit über den Boden glitt, die Bewegung so präzise wie der Moment, den sie sich im Geiste ausmalte. Es war keine Frage, was sie mit dem Tier tun würde. Es wäre eine kurze Bewegung gewesen, und der Skorpion hätte schnell und schmerzlos ein anderes Schicksal erlitten und sie selbst wäre um einen Giftstachel reicher. Doch nicht jetzt. Nicht hier. Devan hatte etwas anderes erwartet, und vielleicht, nur vielleicht, war es nicht an ihr, ihm diese Entscheidung abzunehmen. Die Wüste war ein Ort, an dem auch der Tod in seinen vielen Formen einen Teil des großen Kreislaufs bildete. Man tötete nur, wenn es nötig war. Der Skorpion, er lebte, weil er es konnte, weil er sich dem Überlebensdrang der Wüste unterwarf, genauso wie sie.

Ihre Augen ruhten nun wieder auf dem Felsen, auf der rauen, fast spiegelglatten Steilwand, die vor ihnen lag. Der Mond warf gleißende Reflexe und machte sie nur noch bedrohlicher, als wäre der Felsen selbst ein Wachposten der Wüste, der keinen Eindringling durchließ. Zariyah spürte die vertraute Präsenz des Mannes an ihrer Seite – seine Bewegungen, sein Blick, all das, was ihn ausmachte. Doch in diesem Moment war sie sich bewusst, dass es mehr brauchte als Vertrauen, um dieses Hindernis gemeinsam zu überwinden. Ihre Aufgabe war es, ruhig zu bleiben, die Anspannung abzubauen und einen Weg nach oben zu finden. Routiniert prüfte sie den Felsen, suchte nach den bekannten Vorsprüngen, nach den winzigen Spalten, die der Wind und die Zeit im Stein hinterlassen hatten. Es gab keine offensichtlichen Routen, die den Aufstieg leicht machen würden. Die Steilheit des Felsens war eine Herausforderung, selbst für sie, geschweige denn für jemanden, der dieses steinerne Monstrum noch nie erklommen war. Der Felsen würde mit jedem Zoll mehr zu einem erbitterten Feind werden, der es ihnen nicht leicht machen würde, die begehrte Pflanze zu erreichen.

»Es wird nicht ungefährlich«, erwähnte Zariyah beinahe im Plauderton, sich durchaus bewusst, dass ihr ehemaliger Lehrmeister alles andere als lebensmüde war. Sie musterte ihn kurz, eine Miene, die die Brutalität der Herausforderung wiedergab, doch in ihren Augen glomm etwas, das an kompetitiver Abenteuerlust grenzte.
»Solltest du eine Hand benötigen, alter Mann, so scheue dich nicht zu fragen.« Längst blickte sie wieder hinauf zu ihrem fernen Ziel, er konnte ihre schalkhaft schimmernden Iriden nicht sehen, doch das absurde Vergnügen in ihrer Stimme war unüberhörbar. Ihre Hand glitt über den schwarzen Stein, als sie sich bereit machte, den ersten Fuß in die Wand zu setzen.
Devan glaubte nicht daran, dass gute Taten irgendwann auf einen zurückfielen und sich ausbezahlten. Er hatte Menschen gesehen, die genau im Gegenteil handelten und so viele unschuldige Menschenleben auf dem Gewissen hatten, dass drei Leben nicht reichen würden, um ihre Schuld abzubezahlen; und doch beschritten sie immer noch die gleichen Wege und lachten dasselbe Lachen. Eine Tat definierte nicht die persönliche Zukunft, sie war ausschlaggebend für das Gleichgewicht dieser Minute, dieser Sekunde. Wenn ein Mensch starb, dann waren es nicht die vergangenen Taten, die ihn vor Heofader oder anderen Göttern reinwuschen; es war das Unterbinden seiner Taten, das sein Umfeld beeinflusste. Jede Tat verlief ins Nichts, genau dort, wo ihr Weg sie alle eventuell hinführen würde. Wenn er also einen Skorpion seinen Weg passieren ließ, dann erwartete er nichts. Es war nur ein weiteres, winziges Gewicht, das das Leid der Welt in diesem Moment ausbalancierte.
Jahre des Trainings hatte er gefüllt mit diesem Verständnis, und doch hatte die junge Frau vor ihm nie richtig verstehen können, was es hieß, einen Skorpion leben zu lassen. Es war kein Akt ihm zuliebe, ihrem Lehrer, sondern setzte ein Bild voraus, das sie vor ihren Augen zwar sah, es aber nie hatte berühren können. Devan nahm die Hand von ihrer Schulter, als der Skorpion im Sand verschwand. Manchmal fragte er sich, ob er nicht einen Fehler gemacht hatte.

Seine Augen ruhten nun auf dem Felsen, groß und beständig, wie er sich aus seinen kleinen Brüdern abhob und den beiden Wanderern den Weg versperrte. Auch aus dieser Nähe leuchtete die Oberfläche glatt und ließ kaum Vorsprünge erkennen, die sich Finger und Füße zu nutzen machen könnten. Er war hoch genug, dass ein Fall vor dem Ziel einen sicheren Tod bedeutete und Devans forschende Augen, sein Kopf etwas in den Nacken gelegt, ließen erkennen, dass er abwägte, ob es das wert war. Nicht nur in ihrer Denkweise unterschied Zariyah sich von ihm. Ihr Körper war der einer Tänzerin, lang und gelenkig - seiner war der eines Geparden, kompakt und sehnig. Ihre Erfahrung war ihren Fingern anzusehen, die sich in Erinnerung an den richtigen Stein klammern würden, während sie sich an die Mauer pressen und eins von ihm wurde. Sein Verstand sagte ihm, dass er alleine niemals den Versuch wagen würde, im trügerischen Halbschatten einen Felsen zu erklimmen, der genau für den Tod gemacht zu sein schien, den er hier mitten in der Wüste ausstrahlte. Aber auch zwischen seinen Fingern kribbelte die Erinnerung; ein dunkler Faden, der sich durch seine Blockade zog und erzitterte, als Devan sein Gewicht verlagerte. “So sieht es aus”, antwortete er und schob den Stoff von Mund und Nase unter sein Kinn, in seinem Blick der Entschluss, den seine Worte nur wiedergaben. Was ihm fehlte, strahlte sie in doppeltem Maße aus; der Funke an Lebendigkeit, der durch Zariyahs Adern zuckte und die feinen Muskeln unter den Stofflagen aktivierte. In ihm zeigte sich nur das mentale Schulterzucken auf die innere Frage, ob er den Aufstieg überleben würde. Wenn nicht, dann war die Welt einen anderen Menschen los, der viele Leben auf dem Gewissen hatte.
Niemand würde nach zehn Jahren noch nach dem Mann fragen, den Zariyah alt nannte. Es war sein Name, der sich durch die Straßen trug, während die Frau vor ihm wie so oft damit kämpfte, dass er ihren Humor, so wie jeden anderen Humor, nicht vollständig nachvollziehen konnte. So zog er nur eine Augenbraue in die Höhe und war kurz davor, sie darüber zu belehren, dass er noch nicht unter die Definition alt zählte, ließ es dann aber bleiben und schob sich an ihr vorbei, um den Felsen von nächster Nähe aus zu betrachten. “Ich werde neben dir klettern. Sollte ich fallen, kannst du am schnellsten reagieren.” Ganz bewusst erwähnte er nicht die Möglichkeit, dass es auch Zariyah sein könnte, die einen falschen Fuß setzte, erschien dies im Vergleich zu seinem Fehlverhalten doch weitaus geringer. Er ließ auch gar nicht erst den Gedanken zu, dass dies eine Art Wettkampf sein würde - längst waren sie über den Zeitpunkt ihres Trainings hinaus, dass sie sich gegen ihn und nicht mit ihm behaupten musste. In seinen Augen hatte er ihr längst alles beigebracht, in vielen Bereichen übertraf sie ihn sogar. Es lag nun an ihr, seine Philosophie anzunehmen oder nicht.
Abwesend verstärkte Devan den Hand der Bandagen um seine Handflächen, ließ seine Finger aber unbandagiert, da er sie zum Fühlen brauchte. Er zog auch seine Schuhe aus, die zur Wüstenwanderung und nicht zum Klettern gemacht waren. Ein Bild, das ihn hin und wieder aufsuchte, kletterte aus den Schatten wie die wunden Füße eines Jungen, der darauf angewiesen gewesen war, die Rinde eines toten Baumes zu erklimmen. Ohne weitere Worte streifte er die Felswand entlang und legte schließlich die rechte Hand an einen kleinen Vorsprung. Sein Blick wanderte zu Zariyah, ein letztes, stummes Abstimmen, dann stemmte er seinen Fuß gegen die Mauer und stemmte sich hoch.

Es war kein Kräftemessen, wie es der kurze Lauf von Stadttor zu Stadttor war, sondern ein Marathon. Wer seine Kräfte nicht einzuteilen wusste, würde nie das Ziel erreichen, das über ihren Köpfen kokett vom Mondlicht beleuchtet wurde und sie zu verspotten schien. Oder vielleicht war es auch die Herausforderung, der er sich endlich stellen musste, eine stumme Frage der Natur, ob er es wert war. Mit ebenem Atem blendete er den Wind aus, der in der Höhe an dem Felsen vorbei schnitt, und den schmerzenden Druck in seinen Fingern, die einerseits von der Anstrengung und andererseits von der überraschenden Kälte kamen. Mit jedem griff nach oben fühlte er die Biegung des Steins und passte seinen Atem der Wölbung an, während er mit dem Tempo von Zariyah weiter nach oben glitt. Das, was sie ausmachte, waren nicht zwei Menschen, sondern eine Einheit, die an einem Strang zog. Die Zukunft lag vor ihnen, ein Leben ohne die Gewalt eines Königshauses, und die Gegenwart hatten sie fast erreicht.
Es war ein Atemzug zu viel, der Devan verließ, als er merkte, wie sein Fuß über den winzigen Vorsprung rutschte und sein Gleichgewicht gefährlich nach unten riss. Eine Bewegung, die in Zariyahs Augenwinkel schnell vonstatten gehen musste, als er seinen Halt für einen winzigen Augenblick verlor und seine Hand die Sicherheit des Felsens aufgeben musste. In einem Moment der Unsicherheit hielt Devan sein ganzes Gewicht in seiner rechten Hand, deren Knöchel vor Anstrengung weiß hervortraten.
Der Moment, in dem Devan begann, sich auf den Aufstieg vorzubereiten, war voller Kontraste: Ihre Blicke ruhten auf seinen Bewegungen – ruhig, bedacht, methodisch. Jede seiner Handlungen schien durchdacht, aber da war auch diese leise Skepsis, die ihn immer begleitete, wenn es um eine Herausforderung wie diese ging. Barfuß. Sie selbst hatte an diesem Ungetüm längst das Vertrauen in ihre Hände und Füße gewonnen, in vielen Narben und Schwielen, die die Wüste und unzählige Kletterpartien hinterlassen hatten. Sie selbst trug keine Bandagen – dieser Felsen war ihr Feind und zugleich ein vertrauter Tanzpartner, der nur auf einen falschen Schritt wartete. Es war nicht das erste Mal, dass sie diesen Giganten bezwang. Vielleicht war es das fünfte oder sechste Mal, und dennoch war jeder Aufstieg einzigartig. Der Stein veränderte sich, wurde glatt geschliffen vom Sand, vom Wind, von der Zeit. Und doch wusste sie, wie sie ihn zu lesen hatte. Während Devan sich vorbereitete, ließ sie die Vergangenheit durch ihre Gedanken ziehen. Wie oft war sie schon hier gewesen, wie oft hatte sie diese lebensgefährliche Wand bezwungen – für gewöhnlich allein. Aber mit Devan war es anders. Seine wortkarge Art, sein Schweigen, das mehr sagte als tausend Worte, ließ sie innehalten. Sie verstand ihn, vielleicht besser als die meisten, und genoss seine Präsenz, auch wenn sie nichts sagten. Manchmal reichte das Gefühl, dass jemand da war, jemand, dem sie vertraute, vollkommen aus.

Sein Vorschlag, nebeneinander zu klettern, ließ sie für einen Moment innehalten. Sie warf ihm einen Blick zu, prüfend, aber nicht wertend. Dass er von der Möglichkeit eines Sturzes sprach, berührte sie kaum. Natürlich konnte einer von ihnen fallen – das Risiko war immer da. Aber sicherlich nicht Devan. Er war ihr Lehrmeister gewesen, die Person, die ihr diese Welt gezeigt und sie in all ihren Facetten geschärft hatte. Der Mensch, der ihr den Geschmack von Freiheit verschafft hatte. Die Möglichkeit, dass er scheiterte, war in ihren Augen so unwahrscheinlich, dass sie nur leise nickte. »Gut«, bestätigte sie. Kein Widerwort, kein Zögern. Sie vertraute ihm, wie sie sich selbst vertraute.

Die ersten Meter waren einfach, eine Art Aufwärmen für das, was noch kommen würde. Ihre Finger fanden die kleinen Rillen und Vorsprünge, die ihre Muskeln testeten, und sie bewegte sich mit einer Präzision, die sie in jahrelangen Versuchen und Verfehlungen erlangt hatte. Ihre Füße tasteten nach Halt, jeder Schritt war bedacht, und doch wirkte es fast mühelos. Der Stein war noch erhitzt von der langsam schwindenden Wüstenhitze unter ihren Händen, nahezu verlockende, winzige Vorsprünge hier und da, aber sie wusste, wie sie ihren Körper zu halten hatte. Und vor allem, wo. Der Aufstieg war kein Kampf, sondern ein Dialog. Der Felsen sprach in seiner Sprache, und sie antwortete. Es war wie ein Tanz, bei dem jede Bewegung auf die andere abgestimmt war. Mit der Zeit fiel sie in eine Art meditativen Zustand. Ihr Atem wurde ruhig, gleichmäßig, fast unhörbar. Sie lauschte dem Wind, der leise über ihnen pfiff, spürte die rasch abkühle Nachtluft auf ihrer Haut. Es gab nichts außer dem Moment – den Kontakt ihrer Haut mit dem Stein, die Spannung in ihren Muskeln, die Stille, die sie umgab. Jeder Griff, jeder Schritt war ein Teil eines größeren Ganzen, und sie ließ sich davon tragen, wurde eins mit der Wand, mit der Bewegung.

Doch dann geschah es.

Ein plötzlicher Laut riss sie aus ihrer Trance – ein kurzes, scharfes Geräusch von rutschendem Gestein. Ihr Kopf schnellte herum, ihre Augen fanden Devan. Sein Fuß hatte den Halt verloren, und für einen Moment war sein Körper im Ungleichgewicht, von nur noch vier Fingergelenken gehalten. Es war ein Anblick, der ihr Herz für einen schrecklichen Moment stocken ließ. Doch bevor Panik sie überwältigen konnte, handelte sie. Ohne zu zögern, löste sie eine Hand vom Felsen, schob ihren Körper seitlich, sodass sie näher an ihn herankam. Ihre nun freie Hand streckte sich aus, fand seinen Arm, und mit einer Kraft, die man ihrer zierlichen Gestalt nicht zugetraut hätte, hielt sie ihn. Der Ruck, als sein Gewicht ihr Gleichgewicht bedrängte, war gewaltig, und sie spürte, wie reißender Schmerz durch ihre Schulter jagte, doch sie ließ nicht los. Sie konnte nicht. Ihre Beine suchten instinktiv nach einem besseren Halt, fanden einen kleinen Vorsprung, der ihr die Stabilität gab, die sie brauchte. Ihre Finger krallten sich um seinen Arm, während ihre Muskeln unter der Belastung zitterten, sie verengte mit beinahe wütenden Miene die Augen. Mit einer langsamen, kontrollierten Bewegung zog sie ihn näher an die Felswand, die Zähne zusammenbeißend, während sie ein schmerzerfülltes Stöhnen nicht unterbinden konnte.