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Some call it chaos, we call it family - Druckversion

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RE: Some call it chaos, we call it family - Reinka Norrholm - 15-09-2024

Leifs Aufforderung konnte Reinka nicht erhobenen Hauptes begegnen. Zwar blitzte es in ihrem Blick und dieses Blitzen sollte ihren ältesten jüngeren Bruder mahnen, es nicht noch weiter und wilder mit ihr zu treiben, da sie vermutlich dann wirklich nach einem Buttermesser greifen würde, jedoch… Im selben Moment stellte Reinka, die Prinzessin des Winters, eine Kriegerin, die zwölf Herausforderer in die Flucht geschlagen hatte, ehe sie sich selbst Erik hatte geschlagen geben müssen, erschrocken fest, dass sie dies gar nicht wollte. Wenn es die Umstände erforderlich machten, wenn ihr Leib, ihr Leben, oder der Leib und das Leben eines Menschen, welcher ihr lieb und teuer war, bedroht war, würde sie zur Axt greifen. Und sie würde nicht zögern. In diesem Tändeln, diesem geschwisterlichen Ringen um die Oberhand allerdings, scheute sie die Herausforderung. Und vielleicht war sie wirklich zu weich für den Winter geworden.
Verärgert, vor allem über sich selbst, da sie nie vorgehabt hatte, in einem Augenblick ihres Seins Schwäche zu zeigen, weil es vor allem der Stolz der Stelhammers war, der in ihren Adern pulsierte, schnalzte sie mit der Zunge. Zwar galt diese Mahnung Leif, es blieb jedoch nicht aus, dass sie sich selbst davon angesprochen fühlte und sich ermahnte, sich selbst nicht auf diese Weise zu hintergehen. Reinka straffte ihre Schultern und obwohl ihre Zunge schwer war, sagte sie: „Fordere mich erst heraus, wenn du weißt, dass du es wirklich willst, Leif.“ Es war eine Möglichkeit, ihm eine Gelegenheit zu geben, sich seine Herausforderung zu überlegen, sie zu überdenken, und Reinka konnte damit ebenso ihr Gesicht bewahren.

Zumal in diesem Zusammentreffen der ältesten Geschwister ein völlig anderes Thema Einzug gehalten hatte. Vermutlich war es nicht weniger ernst, als Reinka ihre Drohung ernst gewesen war, und sie bemerkte, dass es bei ihnen Allen unausgesprochene Dinge gab, da Leif Jorins Frage eher abtat, anstatt sie zu beantworten. Reinka wagte jedenfalls nicht, weiter nachzubohren und sie hoffte, dass auch Jorin diese kluge Entscheidung traf, wo er schon recht unklug gegen den Willen seiner Frau gehandelt hatte. In der Familie war man füreinander da, man stand einander zur Seite, gab auf die anderen Acht – ohne Fragen. Ohne Antworten. Niemand musste sich erklären, denn es herrschte ein allumfassendes Vertrauen, dass die Entscheidungen, die man getroffen hatte, aus einer guten Überlegung heraus entsprangen. Doch, selbst wenn nicht, griff die Loyalität und Ergebenheit, die den Stelhammers von Generation zu Generation vererbt und anerzogen wurde. Niemals durfte das Verteidigen seines Hauses, seiner Familie, zu einer Frage der Loyalität werden.
Bei Jorins aufprallender Faust kam Reinka nicht umhin, zusammenzuzucken. Anschließend musste sie erneut tadelnd mit der Zunge schnalzen und ihre Augen in Ergebenheit über das Temperament ihres Bruders verdrehen. „Ich weine nicht.“, knurrte Reinka abermals, ehe sie sich auf das Problem ihres Bruders, oder besser gesagt, auf das Problem ihrer Schwägerin, konzentrierte. „Ich weiß nicht, was es bedeutet, wenn sie weint, aber ich weiß, dass das gut ist. Es ist gut und es wird aufhören. Eines Tages.“ Wann dieser Tag war, konnte selbstverständlich niemand so genau sagen. Es mochten noch Monate vergehen. Aber, was waren schon Monate in den vielen Jahrzehnten, die sich diese beiden Menschen entschieden hatten, miteinander zu verbringen und zu teilen? Wenn sie das Alter ihrer Eltern erreicht hatten, würden sie zurückblicken und feststellen, dass diese Zeit vergangen war in einem Fingerschnipsen. Umringt von all ihren Kindern und Enkelkindern waren diese paar Monate… irrelevant.
„Ich werde ihr nichts sagen.“, versprach Reinka zuletzt, nicht bloß um Jorins Willen. Es war etwas, das lediglich sie beide anging und sie selbst machte sich nichts daraus, dass sie von ihrem Bruder ins Vertrauen gezogen worden war.

Reinka wollte erneut ansetzen, Jorin einen Ratschlag mit auf den Weg zu geben, wie es für ihn leichter werden könnte, die Zeit, die Lindgard brauchte, auszusitzen, als sich die Tür zum Speisesaal öffnete und… „Swantje!“, stieß auch Reinka aus, womit sie die Ähnlichkeit zu ihren Brüdern erneut unter Beweis stellte. Wie sie sich dessen bewusst wurde, musste sie sich ein Schmunzeln verkneifen, während ihre Brüder bereits damit beschäftigt waren, das Mädchen ausgiebig zu rügen. Dennoch hallte in ihrer Erinnerung das Bild nach: Drei erschrockene Stelhammers, die ältesten der Familie, die zur selben Sekunde den Namen des jüngsten Familienmitglieds ausstießen. Wenn das jemand gesehen hätte…
„Es ist also wahr!“, murmelte Reinka, deren Blick Bestürzung verriet, „Als Mutter mir schrieb, du wärst beinahe vom Dach gefallen, hielt ich das für einen schlechten Scherz.“ Reinka schüttelte den Kopf. Dieses Mal war ihr nichts passiert, aber wenn sie sich ausmalte, was hätte geschehen können, spürte sie wieder dieses seltsame Kribbeln hinter ihren Lidern, welches sie zwanghaft wegblinzelte. Es schien erneut ein Thema, über das sich in ihrem Zustand nicht gut sprechen ließ, weshalb Reinka schnaufte und sich Jorins Frage mit einem neugierigen, wie auffordernden, Nicken anschloss.