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A wild Game of Survival - Ariald Stelhammer - 08-07-2024

This is a wild game of survival
There's no surrender and there's no escape. Are we the hunters or are we the prey?

Wintergard war seit Tagen in einem Festtagsfieber der Vorbereitung gewesen und hatte am gestrigen Tage die tapfernden Krieger aus den eigenen Reihen gebührend in Empfang genommen. Die gesamte Stadt war auf den Beinen und Straßen gewesen, hatte gejubelt und gefeiert. Die Tore der königlichen Festung hatten einladend offen gestanden, man hatte Musik gespielt und der Alkohol war in solch großen Mengen geflossen, dass Ariald zwischendrin Sorge gehabt hatte, sie würden den gesamten Jahresvorrat versaufen. Natürlich hatte sie die Kunde, dass der Angriff gut ausgeangen war, schon vor einiger Zeit erreicht, aber es war doch etwas anderes gewesen, seinen Sohn in ganzem Stück wieder im Arm zu halten. Der Tag war nicht nur wegen der ausgiebigen Feierlichkeiten anstrengend gewesen sondern auch, weil es Ariald mürbe machte, so viel Stolz und Missmut gleichzeitig in seiner Brust zu spüren. Aber er hatte den Kriegern und allen voran Leif diesen Tag aus tiefstem Herzen gegönnt und deshalb mit schwierigen Gesprächen hinter dem Berg gehalten. Sowieso hatte er sich gern zurückgehalten, hatte sich mit Raik, welcher sich diese Feierlichkeiten natürlich nicht hatte nehmen lassen, um ein Fass des hochwertigsten Mets gekümmert und hatte seine Familienschar dabei beobachtet, wie sie den Sieg ausgelassen gefeiert hatten. Ob diese Feiern in Zukunft der Vergangenheit angehören würden? Ob sie im Monat der Ernte in Ruhe das Eisfeuerfest feiern würden? Wenigstens hatte Ariald dank des Mets geschlafen wie ein Eisbärenbaby und Frigga war bereits unterwegs, als er mit Kopfschmerzen von einem Bediensteten geweckt wurde. Diesen schickte er erstmal weg und befahl ihm, so schnell wie möglich wieder die Vorhänge zu schließen, wenn er nicht wollte, dass es heute zu einer Hinrichtung auf der Festung kam. Blödes Sonnenlicht aber auch. Ja, er vertrug diese Mengen an Alkohol nicht mehr so wie früher und als er dann irgendwann endlich wach und bei sich war, stiegen ihm die Ereignisse des vergangenen Tages -oder der vergangenen Wochen wieder in den Kopf. Er hatte gestern allerlei Geschichten von dem glorreichen Sieg über Eastergold Meadow gehört, die immer wilder geworden waren je weiter der Abend voran geschritten war. Ariald brauchte dringend einen sachlichen Bericht aus erster Hand – und sie mussten über die Zukunft sprechen. Dem König war nicht entgangen, dass der Kronprinz den Sieg über die Frühlingsstadt als ‚ersten Sieg‘ betitelt hatte. Kunde aus Spring’s Court über die weiteren Pläne hatte ihn bisher nicht erreicht, dahingehend war Leif wahrscheinlich auf einem aktuelleren Stand.

So hatte Ariald an diesem Morgen (oder Mittag?) eine kurze Katzenwäsche vorgenommen und sich in eine bequeme Gewandung geschmissen. Auf dem Weg in sein Arbeitszimmer hatte er eine Magd angewiesen, in einer halben Stunde nach Leif zu schicken und ihm direkt Frühstück an den Schreibtisch zu bringen. In den Gängen wurde bereits fleißig gewerkelt, um allerlei Hinterlassenschaften der gestrigen Feier zu beseiten. Irgendwo ertönte ein angestrengtes “NICHT RENNEN!“ aus einer Abzweigung und Ariald bog bewusst in die andere Richtung ab. Er hatte Kopfschmerzen und noch kein Rührei gehabt, da brauchte man ihn gar nicht mit tobenden Kindern behelligen. Tief durchatmend schloss er die Tür seines Arbeitszimmers hinter sich und betrachtete die Karten auf dem Schreibtisch. Dort hatten seine Berater und er vor einigen Tagen die Gegebenheiten der angrenzenden Ländereien studiert. Gemeinsam mit einem Waldläufer hatten sie alternative Routen zu den Hauptverkehrsstraßen eingezeichnet – einfach für „den Fall der Fälle“. Kopfschüttelnd und leise seufzend ging er näher und nahm eine der Karten in die Hände. Was taten sie hier eigentlich? Plante er gerade einen Krieg? Sah er sich wirklich Routen durch das Gebirge östlich von Wolfsmark an, um irgendwann eine Armee dadurch in Richtung Castandor zu führen? Oder von Leif führen zu lassen?

Arialds Frühstück wurde gebracht und abgestellt und dass der König nicht mal aufsah, obwohl es nach Speck, Rührei und frischem Brot duftete, war vielsagend. Stattdessen nahm er das nächste Blatt Pergament in die Hand. Eine feine Skizze der Verteidigungsanlage rund um Bardon Pass. Sie war in die Jahre gekommen, weil seit Jahrzehnten kein Krieg mehr geherrscht hatte, aber dennoch war die Stadt denkbar gut aufgestellt, wenn es um die eigene Verteidigung ging. Hohe Mauern, feste Wehranlagen und der natürliche Schutz des Gebirges. Müde fuhr Ariald sich mit der Hand über das Gesicht und sah auch nicht auf, als sich die Tür erneut öffnete. Er hatte Leif bereits an dessen Schritten erkannt, immerhin hallten diese seit über 20 Jahren durch die Gänge seiner Burg. All diese Themen waren schwierig, aber der König kam nicht darum, zu lächeln, als er aufblickte und ihn sein Ebenbild aus jungen Jahren (also mehr oder weniger!) ansah. „Die erste Nacht Zuhause ist immer wieder etwas Besonderes, was?“




RE: A wild Game of Survival - Leif Stelhammer - 10-07-2024

Leif war es wichtig, wieder in seine Routine zu fallen, wenn er über einen längeren Zeitraum mit Abwesenheit in seiner Heimat geglänzt hatte. Es machte ihn produktiv, es machte ihn tüchtig, es ließ ihn auch an einem Wintermorgen mit genug Energie in den Tag starten, um seinen Pflichten als Kronprinz gewissenhaft nachzugehen und sich trotzdem noch genug Zeit für seine persönlichen Ziele nehmen zu können. Die ausgelassene Stimmung des letzten Tages nahm er gerne mit und immer noch mischten sich Erinnerungen an das gemeinsame Lachen angenehm in seine Gedanken, aber das hielt ihn nicht davon ab, am frühen Vormittag schon im Innenhof zu stehen und seine tägliche Formroutine mit seiner Zweihandaxt zu wiederholen, bis ein dünner Schweißfilm auf seiner hellen Haut glänzte. Heute ließ er es ruhiger angehen, denn auch ihm brannte noch der Alkohol in den Adern und die stundenlange Reiterei hatte seine Muskeln unmöglich steif werden lassen. Statt seinen Lehrmeister herauszufordern, der selbst eine kränkliche Färbung um die Nase zu verbuchen hatte (wie alle alten Männer überschätzte er seine Trinkfestigkeit doch mit jedem Tag ein wenig mehr), ließ er sich von ihm belehren und fühlte sich gleich wieder wie ein blutiger Anfänger. Damals war er öfter in den Schlamm gefallen, als dass er überhaupt einen vernünftigen Schlag mit der Axt hätte ausführen können. Es war erfrischend, wieder auf den realistischen Boden der Tatsachen geholt zu werden, auch wenn Leif dem Älteren hin und wieder gerne die Blässe um die Nase mit einem sauberen Schlag vertrieben hätte.
“Ich glaube, ich hab an Präzision verloren”, grub der Kronprinz den Kopf seiner Axt in den aufgewühlten Boden und stützte sich auf den Stiel. Hakon brummte und verschränkte die Arme vor der Brust. “Wundert mich nicht. Du hattest anderes im Kopf und hast nicht in deinem gewohnten Umfeld trainiert.” Das waren alles Wahrheiten, die Leif selbst wusste und schon zur Genüge durchgekaut hatte; ein weiterer Grund, warum ihm seine Routine hier zu Hause so wichtig war. Selbstkritisch runzelte er die Stirn und blinzelte in den Himmel, der um diese Jahreszeit mit einem ganz blassen, grauen Film überzogen war, aber nicht genug, um die Kraft der Sonne einzuschränken. Hätte Leif nicht trainiert, wäre ihm trotzdem warm gewesen. Dem leichten Pochen in seinem Hinterkopf nachgebend, schulterte er seine Axt und stellte sie gegen die Brüstung neben Hakon, der ihm eine Schöpfkelle mit klarem Brunnenwasser reichte. “Tyr hat nach dir gefragt, ob du dir die neuen Rekruten anschauen und ein paar Worte an sie richten kannst. Junge Burschen, grad aus dem Ei gepellt, wenn du mich fragst.” Wie gesagt, Routine. Auch wenn es sich in diesem Fall nur um die Nachwuchsgeneration der Königswache handelte, gehörte das zu einem seiner liebsten Aufgaben. Da er mit Trinken beschäftigt war, gierigen Schlücken, nickte er nur und wollte, gerade, wo er mit dem Handrücken über seine Mundwinkel fuhr, seine verbale Zustimmung geben, da bemerkte er aus dem Augenwinkel eine Magd auf sich zukommen. “Eure Majestät. Der König erwartet Euch in seinem Arbeitszimmer”, verbeugte sie sich. Das überraschte Leif nicht, der nur mit den Schultern zuckte und die Kelle zurück in den Eimer fallen ließ. “Das muss noch warten, ich habe von einem Krieg zu berichten.” Kameradschaftlich klopfte er seinem Lehrmeister auf die Schulter und zog sich beim Gehen auch endlich sein Hemd wieder über.

Mit zügigem, zielsicherem Gang schritt Leif durch die vertrauten Gänge und das Treiben, das bereits effektiv dabei war, dem Chaos der gestrigen Nacht Herr zu werden. Obwohl er mehrere Wochen abwesend gewesen war, sah man ihn schon wieder als einer der ihren und so fand das Burgleben um ihn herum statt, anstatt von ihm gestört zu werden. Man grüßte ihn und er grüßte zurück, irgendwann kam Luitwin aus dem Hinterhalt angerannt mit einer gestressten Freja im Schlepptau und Leif blieb kurz stehen, um seinen kleinen Bruder am Arm zu packen und ihm mit einem kräftigen Haarewuschler auf die Nerven zu gehen. “Wir haben dich gesucht! Es gibt gleich Mittag.” “Hm, ich komm dann nach, ihr müsst nicht auf mich warten.” “Ich hab dir doch gesagt, dass er zutun hat”, mischte Freja sich ein. “Vater will mich sehen. Nächstes Mal, ja?” “Kann ich mitkommen?” “Nein.” Ein beleidigter Luitwin war kein angenehmer Geselle, aber er nahm das Wort seines Bruders wenigstens ernst und ließ ihn ziehen.
Ohne zu klopfen und sich sonst irgendwie anzustellen, trat Leif in das Arbeitszimmer und schloss die Tür hinter sich, sofort den Umschwung von laut und geschäftig zu ruhig und gediegen registrierend. Er kam auch nicht umhin, das Mittagessen - oder Frühstück? - zu riechen, so wie es unangetastet auf einem Tablett stand. Seine Augen hingegen fanden sofort den Mann, dessen Präsenz immer noch den Raum kommandierte, obwohl er außergewöhnlich müde lächelte; jetzt durfte er sich den Raum mit jemandem teilen, der ebenfalls in seiner Gestalt wachsen und mindestens die Hälfte des Raumes einnehmen konnte. Leif neigte respektvoll seinen Kopf. “Vater.” Wieder sah er auf und stellte noch einmal fest, dass er wirklich müde aussah. Dennoch ließ das Lächeln des alten Bären auch seine Züge weicher werden. “Ehrlich? Ich hab lange nicht mehr so gut geschlafen wie heute. In Spring’s Court parfümieren sie sogar die Decken, oder was weiß ich, vielleicht war ich auch so benebelt vom Badewasser, dass ich überall nur noch Rosen gerochen habe.” Lächelnd schüttelte er in Erinnerungen den Kopf und verbannte jene in eine Ecke, die er im Beisein von Aleena wieder aufmachen würde. Entgegen seiner Erwartungen… war es in ihrer Heimat gar nicht so schlimm gewesen. Wenn er selbst nur nicht so unerträglich nach der Schlacht gewesen wäre, was ihm im Nachhinein sogar ein bisschen leid tat.
“Was habe ich verpasst?”, fragte er, bevor er seinen Blick auf die Zeichnung in der Hand seines Vaters fallen ließ. Im Grunde genommen versuchten sie doch beide, den Bären im Raum zu umschiffen und sich so gemütlich wie möglich an das Thema heranzutasten, von denen sie beide wussten, dass es zwischen ihnen stand. Niemand wollte eine Ankunft mit ernsten, wenig erfreulichen Themen besudeln, aber irgendwann mussten sie es tun. Wenn sie beide nicht Mann genug waren, sich über die Zukunft des Landes zu unterhalten, wer sollte es dann tun?



RE: A wild Game of Survival - Ariald Stelhammer - 17-07-2024

Kürzlich waren die Dinge surreal. Sie feierten und tranken, während die Gewitterwolken am Himmel noch nicht zu sehen, aber doch irgendwie zu spüren waren. Wie elektrische Ströme, die durch die Luft wirbelten. Unsichtbar, aber anwesend. Von Kriegen hatte Ariald nur aus Geschichten gehört. Rein äußerlich würde er locker als Krieger durchgehen, der viele Kämpfe bestritten hatte, doch natürlich war das nicht der Fall. Kriege hatte es auf Arcandas schon lange nicht mehr gegeben. Selbstverständlich stritten Könige und Königinnen um Heirat, Affären und Intrigen, doch vor allem Norsteading hatte sich von alledem weit distanziert. Trotz der barbarischen Herkunft hatte man immer eine friedliche Miene gewahrt und nie einen Grund gehabt, aktiv boshaft gegen andere Herrscher vorzugehen. Doch in Castandor hatte es mehr und mehr zu brodeln begonnen. Ob Ariald weggesehen hatte? Vielleicht. Ob es ihn deshalb noch mehr wurmte, dass Charles nicht mehr weggesehen hatte? Vielleicht. Es war gut, dass die Tür sich öffnete und Leif den alten Mann aus dessen Gedanken riss. Sofort wurden die dunklen Themen von Leifs enthusiastischen Art überdeckt und Ariald war mehr als froh über diesen Umschwung der Atmosphäre im Raum. Ariald nickte seinem Ältesten zu und hatte nun die Gelegenheit, ihn allein, in Ruhe, im Tageslicht und nüchtern zu betrachten. Er hatte dieses entschlossene Zucken in den Mundwinkeln, gepaart mit einem Lächeln, das Ariald an die Tage seiner eigenen Jugend erinnerte. Auch er musste Schmunzeln und goss sich eine widerliche, klare Flüssigkeit in seinen Krug ein. Kurz zögerte er, schenkte Leif dann aber auch etwas Wasser ein. „Rosen im Badewasser und parfümierte Decken“, fasste Ariald zusammen, langsam den Kopf schüttelnd. „Hast du eine Stadt erobert oder hat man dich zur Frühlingsprinzessin gekrönt?“, musste er lachen. Die starke Loyalität zu Walleydor fußte eindeutig auf politisch-geografischer Grundlage, denn vom Gemüt her hatten die beiden Länder wenig gemein. Wobei, vielleicht würde sich das ja noch ändern, jetzt, wo sich Walleydor schließlich so intensiv mit der Kriegsführung befasste…

„Ich hatte noch gar keine Gelegenheit, dich in Ruhe anzusehen“, stellte der König fest und machte einige langsame Schritte um den mächtigen Schreibtisch herum. Nur, um Leif eine große Pranke an die Wange zu legen und dessen Gesicht mit einem skeptischen Blick zu begutachten. Er hatte ein paar kleine Kratzer an der Wange und Ariald war sich sicher, dass ein kleines Fältchen zwischen den Augenbrauen dazu gekommen war. Er nahm sich Zeit, seinen Sohn ausgiebig zu betrachten, fast so, als versuchte er, aus dessen Augen Geheimnisse zu lesen. Das gelang ihm nicht, weshalb er die Wange zweimal tätschelte, ehe er seine Hand wieder sinken ließ. „Ich habe mindestens fünfzehn graue Haare mehr als vor deiner Abreise“, beschwerte er sich. „Das liegt zu einem Großteil an deiner Mutter, der du – ich zitiere – „Mehr Sorgen bereitet hast, als alle anderen Kinder gesammelt.“ Kopfschüttelnd machte Ariald wieder langsame Schritte zurück und trank kurz, das Gesicht verziehend, von seinem Krug. Fakt war, dass die Aussage vielleicht ein wenig geflunkert war. Frigga und er hatten sich nämlich durchaus erfolgreich im Sorgen-Machen abgewechselt. Jeden Abend war es jemand anderes, der besorgt im Nachthemd aus dem Fenster geblickt und seinen Partner mit Worst-Case-Szenarien vollgesoßt hatte. Ariald stand dessen seiner Frau insgeheim nämlich in absolut nichts nach. Der einzige Unterschied war, dass er sie umbringen würde, wenn dieses Geheimnis je das eheliche Schlafzimmer verlassen würde. (Natürlich würde er sie nicht umbringen, aber mindestens drei Tage kein Wort mit ihr sprechen.) So war es viel leichter, die Sorge auf die leidende, nicht anwesende, Mutter zu schieben, während er den abgeklärten Winterkönig gab. Die Rolle lag ihm schließlich auch viel besser.

Ein kurzes Seufzen, ehe Ariald wieder vom Schreibtisch aufsah. Diesmal nicht mit dem freundlichen, besorgten oder belustigten Blick von vorhin. Er war ernster und deutlich kühler geworden. „Wir müssen darüber sprechen, wie es weitergeht.“ Er sah hinunter auf den Schreibtisch, seine Augen suchten ein bestimmtes Schreiben. Er hatte Schwierigkeiten, einzelne Blätter zu greifen, fand aber schließlich das, wonach er gesucht hatte. „Der Angriff auf die Grenzstadt ist fast einen Monat her. Trakas ist“ Er überlegte. „Seit zwei Wochen tot. Das hier ist Augustos Antwort.“ Er reichte Leif das Stück Pergament:
24. Tag im zweiten Monat der Sonne (Juli)

DAS UNEHRENHAFTE UND UNENTSCHULDBARE
VERHALTEN DES FRÜHLINGSLANDES
VERSETZT UNS, GROSSKÖNIG AUGUSTO CASTELLANOS,
IN DIE NOTWENDIGKEIT
UNSER HEILIGES LAND IN DEN KRIEGSZUSTAND ZU VERSETZEN.

Söhne und Töchter von Castandor
lasst Gebete erklingen.
Für unsere Brüder und Schwestern in Eastergold Meadow,
die im Kampf um dieses unser Land
ihr Leben ließen.

Betet für die Flüchtlinge der Stadt
auf dass sie den sicheren Hafen von Bardon Pass
in Frieden erreichen mögen.

Erhebt eure Schwerter
und macht euch noch heute
auf den Weg nach King's Portal.

Sammelt euch für den Vergeltungsschlag.


Vielleicht hatte Leif diese sowieso schon gehört oder gelesen. Während eines Bads in Rosenblüten oder so ähnlich. Kurz verzog Ariald das Gesicht. Er wollte sich weder ein Bad mit Blüten vorstellen, noch seinen erwachsenen, badenden Sohn. Wie auch immer. „Matariyya unterstützt seinen Verbündeten. Ben Sahid soll Männer rekrutieren – wie auch immer das aussehen soll.“ Nachdenklich klopfte Ariald mit dem Daumen auf dem Holztisch. „Das hier ist…“ er warf einen Blick auf eine Karte Arcandas, die kunstvoll gestaltet auf dem Tisch lag. „Kein Streit mehr um eine florierende Stadt, persönliche Befindlichkeiten oder einen schlechten Herrscher.“ Er nickte in Richtung Eastergold Meadow und sah dann langsam zu Leif auf, dessen Ausdruck Ariald nur schwer deuten konnte. „Das hier wird ein Weltkrieg werden.“



RE: A wild Game of Survival - Leif Stelhammer - 25-07-2024

Fakt war, dass sich Vater und Sohn ähnlicher waren, als sie zugeben wollten. Wenn sie lachten, dann bildeten sich die gleichen Falten, wenn auch teils von ihren Bärten versteckt und bei dem einen deutlich markanter ausfallend als bei dem anderen. In Leifs Augen lag der gleiche wölfische Glanz, der auch in Arialds Jugend Volksgeschichten gefüllt hatte, jung und unerschrocken, nur etwas abgedunkelt, seit er von der Einöde heimgekehrt war. Sogar in ihrer Größe standen sie sich in nichts nach, geschweige denn von der raumfüllenden Körpersprache und dem an unmanierlich laut grenzendem Lachen, wenn Kopf und Herz warm waren von Bier und Gesellschaft. Leif hatte von klein auf tiefe Bewunderung für seinen Vater empfunden und wollte immer in dessen riesige Fußstapfen treten, bis er selbst hineinpasste. Jetzt, alt genug und mehr von der Welt gesehen, wollte er über sie hinaustreten. Das erzählte auch sein Gesicht und seine ganze Körperhaltung, als er ebenfalls einen Schritt nach vorne machte und sich von Ariald begutachten ließ, für sich einstehend seinem Vater zugewandt und zu voller Größe aufgerichtet, aber nicht mehr aufgeplustert wie vor ein paar Jahren, als er ihm mit grüner Nase noch etwas hatte beweisen wollen. Vor Ariald stand in erster Linie immer noch sein Sohn, aber mittlerweile auch ein gestandener Krieger, der nicht einmal im Ansatz sein ganzes Potential ausgeschöpft hatte, so glaubte er. Für ihn gab es keinen Blick über seine Schulter, sondern nur zielgerichtet nach vorne.
Dennoch verzogen sich seine Mundwinkel zu einem Halbgrinsen, als er automatisch prüfte, ob sein Gegenüber sich tatsächlich eine grauere Mähne zugelegt hatte. Vielleicht war er auch ein bisschen stolz darauf, dass er seinen Eltern so viele Sorgen bereitete, von seinem eigenen Sohn würde er nichts anderes erwarten. Ein Stelhammer war kein Stelhammer, der das Schicksal nicht am laufenden Band herausforderte und seine Eltern in den Wahnsinn trieb. „Im Vergleich zur Einöde war das da drüben Teetrinken. Ich hab nichtmal eine neue Narbe.“ In einem anderen Umfeld hätte Leif sich vielleicht zusätzlich über Kjell lustig gemacht, der sich aus eigener Dummheit eine Narbe umgezogen hatte, oder er hätte das Vergangene etwas ausgeschmückt, um seinen Gegenüber mit Kriegsgeschichten zu unterhalten. Doch tatsächlich war ihm daran gelegen, dass seine Eltern sich nicht mehr Sorgen um ihn machten, als nötig war, besser noch weniger, als nötig war. Gerade Ariald hatte ein ganzes Land, um das er sich Gedanken machte (es stand ihm seit Wochen wortwörtlich ins Gesicht geschrieben), und Frigga… „Wie geht es Mutter?“ Leif entfernte sich aus der einnehmenden, großen Präsenz und griff nach dem Wasserkrug, von dem er ausging, dass er für ihn gedacht war. „Ich hatte noch keine Gelegenheit, sie aufzusuchen, aber ich würde gern den Abend mit ihr verbringen.“ Ehrliche Worte und ein fester Blick verrieten, dass er seine Pflichten als Sohn durchaus wahrnahm und sie priorisierte. Kurz dachte er an @Jorin Stelhammer, den er auch noch allein erwischen wollte, aber das musste dann eben warten. Aufgaben wollten erledigt werden und Leif konnte sich weder teilen, noch konnte er der Zeit befehligen, langsamer zu laufen.

Eine solche Aufgabe hatte sich schon vor Monaten als zu groß herausgestellt, als dass eine Person alleine darüber verfügen konnte, und die Früchte der Aufgabe lagen nun in der Hand des Königs und dann in der Hand seines Sohnes. Rasch flog Leif über die Zeilen, die ihm schon bekannt waren. Kurz nach der Abreise aus Spring‘s Court hatte ein Bote die Winterländer eingeholt und die Worte auf Geheißen von Leif erst laut verkündet, dann das Schreiben den Händen des Kronprinzen überlassen. „Hm“ , brummte er zustimmend, ohne den Blick von dem Pergament zu wenden. Auch er wusste nicht, wie Matariyya Männer rekrutierte und wie er sich die Zusammenarbeit der beiden Länder überhaupt vorstellen sollte. Währenddessen blieb sein Blick wieder an den Worten hängen, die ihm schon das letzte Mal aufgefallen waren. Für unsere Brüder und Schwestern in Eastergold Meadow, die im Kampf um unser Land ihr Leben ließen. Mühsam unterdrückte er ein Schnaufen, weil er die Ernsthaftigkeit des Schreibens vor Ariald nicht ins Lächerliche ziehen wollte, so lächerlich er diese Wortwahl auch fand. Mit diesen Worten sollte es also ein Weltkrieg werden. In einem Weltkrieg übertrieb man in seinen Worten, um die Bevölkerung auf seine Seite zu ziehen. Gut. Es war der erste Schritt zur Veränderung, die sich Leif für sein Land wünschte, der erste Schritt zu dem Ziel, was er als zukünftiger König anstrebte. Aber auch das verschwieg er vor seinem Vater, als er endlich das Schreiben senkte und sein Blick ernst aufbegehrte.
„Der Schreiber hätte dir den Bericht eigentlich schon zukommen lassen müssen“ , nickte er in Richtung des vollen Schreibtisches. „Archimedes Trakas kapitulierte sofort, nachdem wir durch die Stadttore gebrochen sind. Es gab acht Todesopfer in Eastergold Meadow, mit dem Fürsten selbst neun. Innerhalb von neun Stunden haben wir die Stadt sicher einnehmen können und die Wanderheilerinnen konnten sich um die Verletzten kümmern. Eine rasche Übernahme mit mehr Verlusten auf unserer Seite als auf Seiten der Stadt.“ Mit keinem Wort beschönigte er die Taten, doch es war ihm wichtig, ein anderes Licht auf die Situation zu werfen für jemanden, der im Zweifelsfall nur die Kriegsansprache von Augusto gelesen hatte. Dafür waren sie doch hier, oder nicht? Um sich über die Situation zu beraten und das weitere Vorgehen zu besprechen. Leifs Blick verdunkelte sich, weil er direkt mit den Fakten fortfuhr, die sie dieses Mal auch persönlich betrafen. „Wir haben fünf unserer eigenen Männer verloren, die sich freiwillig für die Front gemeldet haben. An den Rammböcken.“ Er hatte jeden von ihnen gesehen, hatte sie sehen wollen; auch, wenn er zu dem Zeitpunkt noch zu sehr vom eigenen Adrenalin beeinflusst gewesen war, dass er den Groll nicht hatte abschütteln können, nicht weiter ins Land vorgedrungen zu sein. Im Nachhinein war er sich hingegen seiner Verantwortung bewusst geworden. Diese Männer waren als freie Männer gestorben, aber er war es gewesen, der sein Einverständnis gegeben hatte, sie an den Rammböcken kämpfen zu lassen. Leif nahm einen Schluck aus seinem Krug und versuchte damit, den aufkommenden Knoten in seiner Brust zu lösen, bevor er sich dem großen Tisch zuwandte, auf dessen Fläche eine Karte mit Punkten und Wegen markiert war, die er selbst noch nicht kannte. „Sind das die offenen Wege nach Castandor? Was ist mit der Seeroute?“ Es stand außer Frage, dass sie ihre Grenzen zu verteidigen hatten — hoffentlich mit mehr Strategie, als das, was sie in der kurzen Zeit vor der Übernahme Eastergold Meadows an Heer zusammengetrommelt hatten.



RE: A wild Game of Survival - Ariald Stelhammer - 21-08-2024

Ariald verzog für einen kurzen Augenblick sein Gesicht, als Leif die Einöde erwähnte. Ein Gesichtsausdruck aus Sorge und ein wenig Schmerz. Er erinnerte sich noch an Leifs Abwesenheit damals und vor allem seine Rückkehr. Die Zeit dort hatte ihn verändert. Die besorgten Eltern hatten sich in vielen schlaflosen Nächten darüber ausgetauscht. Der König selbst war nie über die sicheren Grenzen Norsteadings hinausgegangen, aber hatte dutzende Geschichten über die andere Seite gehört. Er musterte Leif also noch einen Augenblick besorgter, ehe er wieder ein stolzes Pokerface aufsetzte. Ariald nickte zustimmend und war tatsächlich froh, dass sein Sohn nicht zu den (wenigen) Verletzten aus dem Aufruhr gehörte. Kurz schweifte sein Blick zum Fenster, auf dessen Sims sich eine kleine Schicht Graupel gebildet hatte. Er würde nichts hiervon für einen egoistischen Trunkenbold, der sich selbst an der Spitze der Nahrungskette sah, aufgeben. Ein Schmunzeln schlich sich auf das Gesicht des Königs. „Das würde sie freuen.“, stimmte er seinem Sohn zu. „Ich glaube, sie hat bis zur Ankunft der Nachricht, dass ihr wohl auf seid, kein Auge zugemacht.“ Vielleicht übertrieb er auch ein bisschen.

Der Ältere hatte kein Interesse daran, weiter um die Dinge, die besprochen werden mussten, zu tänzeln. In der Tat hatte er auch kein Problem damit, schwierige Themen anzusprechen. Er war ein Mann der Tat und ihm gegenüber stand noch immer sein Sohn. Irgendwann musste er damit beginnen, das Bild des kleinen Raufbolds, der in winzigen Stiefeln durch die Gänge lief und mit einer Gabel als Schwert kämpfte, gehen zu lassen. Leif war erwachsen. Und Friggas und seinen Händen langsam entwachsen. Er sprach mit einer Handvoll Beratern Tag täglich über die Geschehnisse im Land und in der Welt – und es war nicht mehr an der Zeit, Leif von alledem fern zu halten. Er schob ihm also die Schriften hin, von denen er ausging, dass sie Leif sowieso schon in Walleydor erreicht hatten. Er studierte diese jedoch scheinbar und Ariald konnte schlecht deuten, ob er sie schon kannte oder nicht. Leif hatte ein recht gutes Pokerface. Vielleicht hatte er das von seinem Vater geerbt. Auf dessen Worte hin nickte Ariald. „Ich möchte deine Geschichte hören.“

Dazu setzte er sich besser. Langsam und vielleicht noch etwas schwerfälliger als noch vor einigen Wochen. Dennoch versuchte er auch vor seinem Sohn nicht an Präsenz einzubüßen. Nicht, weil er vor ihm den strengen, unnahbaren König mimen wollte, sondern weil er ihm der starke Vater sein wollte, den er kannte. Es folgte ein kurzer Bericht Leifs, der Ariald zwiegespalten zurückließ. Die Augen auf den Schreibtisch gesenkt, lehnte er sich zurück und legte sich nachdenklich die Hand ans Kinn. Acht, oder neun Tote, und Leif sprach, als wäre es ein Finanzbericht, doch gerade als Ariald dazu ansetzen wollte, fuhr Leif fort und der König bemerkte die Veränderung in der Stimme seines Sohnes. Dies ließ ihn aufblicken und seinen ältesten Sohn mustern. Warum er einen Schluck trank war Ariald ebenfalls bewusst – hatte er selbst dies schon oft genug in unangenehmen Situationen getan. Keine Frage glich die Einnahme der Stadt einer Taktik aus dem Lehrbuch – und vielleicht würde sie als solche auch in die Geschichten von Lehrern im ganzen Land eingehen. Eine kurze, erfolgreich durchgeführte Mission mit wenigen Verlusten. „Ich möchte, dass du die Familien aufsuchst.“, entgegnete Ariald. „Sie sollen wissen, in welchem Maße wir die Verluste betrauern und dass es keine Selbstverständlichkeit ist, dass Söhne und Väter ihr Land in diesem Maße für das Wohl anderer verteidigen.“ Er würde ihm noch ein Schreiben und eine Entschädigung mitgeben. Das war das mindeste, das sie tun könnten. Und solange der Verlust noch an einer Hand abzählbar war, war ein persönlicher Besuch immerhin noch möglich. Wie das in ein paar Monaten aussehen würde, wusste niemand.

Mit einer leicht zittrigen Hand, die Ariald vehement versuchte, so ruhig wie möglich zu halten, schob er die Kampfansage Augustos beiseite, um einen besseren Blick auf die Karten zu haben. Er nickte und tippte auf Magnushaven. „Wenn ich Norsteading angreifen wollen würde, würde ich auch den Seeweg wählen. Magnushaven ist unser Tor in die Welt, unser wichtigster Handelsposten. Krieg gewinnt man nicht nur mit Gewalt“, murmelte Ariald nachdenklich in seinen Bart hinein. „Ich sitze nebenbei an einer Nachricht an Vidar und Raik. Wolfsmark ist allein durch seine Lage natürlich angreifbar. Ich werde Späher und Kundschafter in Richtung Grenze entsenden.“ Er tippte auf die Grenze rund um Wolfsmark. „Falls Augusto auf dumme Ideen kommt, will ich gewarnt sein. Dass das Zuhause deiner Schwester in Gefahr gerät, werden wir unter keinen Umständen zulassen.“ Seine Stimme war bitterer geworden. Rein faktisch und logistisch war es sinnvoll, viele Ressourcen in die Hafenstadt zu setzen. Aber mit der eigenen Tochter in Wolfsmark spielte da natürlich noch eine persönlichere Komponente mit. Selbstverständlich hatte Frigga Verwandtschaft in Magnushaven, aber bei Reinka verstand Ariald absolut keinen Spaß.

„Andererseits – aber dafür kann ich Augusto nicht gut genug einschätzen – richtet sich seine Kriegserklärung gegen Charles; nicht gegen uns. Wie ist Lage in Eastergold Meadow?“ An der Stelle der frisch eroberten Stadt auf der Karte stand ein kleine Figur aus Messing: Ein kunstvoll geschmiedeter Wolf. Leicht schmunzelnd blickte Ariald auf und schob den Wolf über die Karte zurück nach Wintergard – nach Hause.



RE: A wild Game of Survival - Leif Stelhammer - 14-09-2024

Von klein auf hatte man Leif als ältesten Sohn eine gewisse Verantwortung in die Wiege gelegt. Dessen Bewusstsein hatte sich früher vor allem darin geäußert, wenn er mit aufgeblasener Brust durch die Burg gestiefelt war und jedem beteuert hatte, dass er ja jetzt das Winterland verteidigen würde, wo er gerade mal ein Holzschwert in der Hand halten konnte. Immer hatte er sich irgendwie in der Pflicht gefühlt, im Geschichtsunterricht aufzupassen, auch wenn er lieber draußen auf einen Baumstumpf einschlagen wollte. Seine erste Entscheidung über den Tod eines alten Jagdhundes war ihm nur über zitternde Lippen gekommen, aber er hatte nicht geweint. Weil das nur der Anfang gewesen war. Aus einem Kind wurde ein Prinz, dann ein Kronprinz und irgendwann würde er den großen Fußstapfen seines Vaters in die Rolle des Königs folgen. Ob es das einfacher machte, die Verantwortung auf seinen kräftigen Schultern zu tragen, nur weil sie von klein auf auf diese Aufgabe vorbereitet worden waren? Warum fühlte er sich dann immer noch wie ein Junge, der den Hund lieber in den Arm nehmen wollte, als seinen Gnadentod zu befehligen?
Mit schmaleren Lippen als sonst nickte er verstehend auf die Aufforderung seines Vaters. “Natürlich”, stimmte er ihm zu und runzelte die Stirn, denn er wusste noch nicht so recht, wie er mit der Aufgabe umgehen sollte. Die Aussicht, bald die Familie jedes verstorbenen Kriegers vor sich zu haben und ihnen von dem Tod des Sohnes, Bruders und Ehemanns zu berichten, ließ den Knoten in seiner Brust wachsen. Jeden, der es wagen würde, Leif eine Nachricht vom Tod Jorins zu überbringen, würde er vermutlich zu Brei schlagen; schlimmer aber war die Erinnerung an die wenigen Situationen, wo tatsächlich Tränen aus Frust und Hilflosigkeit seine Sicht vernebelt hatten. Noch nie war er sonderlich gut darin gewesen, mit Tränen umzugehen. “Ich nehme die Helme mit, auf dass ihre Söhne und Töchter sie tragen werden. Können wir den Familien eine Entschädigung anbieten?” Kein Gold der Welt wog für den Verlust eines Familienmitglieds auf, aber in Leifs Augen war es dennoch eine Geste, die sich gehörte. Für den nahenden Winter konnte jedes Gold gebraucht werden, das für die zwei fehlenden Hände aufkam.

Schnell, aber effektiv überflog Leif die eingezeichneten Routen, während er den Erklärungen seines Vaters lauschte. Die Falte zwischen seinen Augenbrauen glättete sich, je mehr sie sich in bekannte Gebiete, die Kriegsplanung, wagten. Strategie, keine Gefühle. Pragmatismus, kein Mitgefühl. Verantwortung, mit der er zumindest zu wissen glaubte, umzugehen. Er war es gewöhnt, Arialds Gemurmel in den Bart hinzunehmen und ebenso als wichtige Informationen wahrzunehmen wie seine klaren, in Autorität gesprochenen Worte.
Leifs Blick folgte dem Finger und er lehnte sich mit gespreizten Fingerkuppen über den Tisch, um die eingezeichneten Grenzen um Wolfsmark zu betrachten. Unweigerlich schlich sich ein Leuchten in seine Augen, als Ariald das Versprechen von Schutz in den Raum warf, denn Schwester und Tochter hin oder her, es war Erik, der ihm zuerst in den Sinn kam; er und all die Barbaren, die sich lautstark unter seinem Kampfschrei vereinten. “Sollte Augusto es wirklich wagen, unsere Grenzen zu passieren, wird er sich an Wolfsmark die Zähne ausbeißen.” Leif verwettete seine Axt darauf, dass in und um Wolfsmark nicht nur Frau und Mann, sondern auch Kinder wussten, wie man Waffen führte. Dass er seine Annahme mit einer blonden Jägerin belegen konnte, die nicht nur Hirschen und Vögeln zwischen die Augen schießen würde, wenn es die Situation verlangte, behielt er dabei für sich.
“Angespannt”, antwortete er ehrlich und ließ seinen Blick weiter östlich in Richtung von Eastergold Meadow wandern, am Rande registrierend, dass sein Vater die Wolfsfigur bewegte. “Es mögen nicht viele Menschen umgekommen sein, aber Gebäude und Infrastruktur wurden in Mitleidenschaft gezogen. Eine wilde Soldatengruppe hat gemeint, den ansässigen Wirt zu belästigen, seine Stube zu verwüsten und als er sich zwischen sie und seine Tochter gestellt hat, wurde er windelweich geprügelt.” Noch ein Punkt, den der Kronprinz gerne kontrolliert hätte, aber er wusste selbst, wie Feiern eskalieren konnten. Wäre es nicht der Kollateralschaden gewesen, hätte er darüber noch hinwegsehen können, doch in diesem Fall bahnte sich über seiner Miene ein kleines, kaum verschleiertes Gewitter an. “Es waren hauptsächlich Söldner, aber auch welche von uns. Ich hab sie persönlich rangenommen, aber wir konnten uns nicht mehr am Wiederaufbau beteiligen. Hätte ich sie anordnen sollen, länger zu bleiben?” Zurückgelassen in einer Heimat, die nicht ihre war, bestraft dadurch, ihr eigenes Zuhause erst im Nachzug zu sehen und nicht an den heimischen Feierlichkeiten teilzuhaben? Es gab viele Dinge, die Leif in Zukunft besser machen wollte; viele Dinge auch, die er ändern wollte.
“Vater…”, begann er und sein Blick begehrte auf, konfrontativ, aber niemals respektlos oder sich in sonst einer Weise über die Autorität des Königs stellend. “Wir müssen unsere militärische Struktur ändern. Ob zur Verteidigung oder zum Angriff, es macht keinen Unterschied, wenn wir weiterhin ein Haufen wilder Barbaren sind.” Vielleicht waren seine Worte hart für jemanden, der selbst als einer aufgewachsen war, aber das gab ihm eben genau das Recht, so über sie zu urteilen. Die feste Handfläche, auf die er sich stützte, verriet, dass er es ernst meinte. “Wir mögen die stärksten Krieger auf dem Kontinent haben - unserer Auffassung nach - aber wir haben keine Disziplin. Unsere Krieger tun auf dem Schlachtfeld, was sie wollen. Es ist, als würde man gegen eine Wand mit eigenem Kopf brüllen. Wie wollen wir so unsere Grenzen schützen?” Leif, der zum ersten Mal an der Spitze gestanden und Befehle gegeben hatte, sprach aus seinem Herzen, aber statt seiner Frustration mehr Boden zu geben, hatte er sich dazu entschieden, den Boden mit Entschlossenheit zu nähren. So wichtig, wie ihm seine Träume von etwas Größerem waren, lag seine Liebe für sein Heimatland mindestens genauso nah an seinem Herzen und er wird nicht zusehen, wenn sie unvorbereitet wie kopflose Hühner in kaltes Wasser sprangen. Als Kronprinz war er dafür verantwortlich, dass seine Untertanen sich nicht nur selbst zu schützen wussten, sondern auch als Einheit funktionierten.