Facing the Storm
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the world is wrong side up - Helias Winters - 21-07-2024

Es hatte etwas Beruhigendes, sich langsam der Stadt zu nähern, die seit einigen Tagen sein Ziel darstellte. Nachdem er früh los geritten war, kam er zum späten Vormittag an und wollte - bevor er den Trubel der Stadt aufsuchte - noch einen Moment der Ruhe genießen. Er mochte Großstädte nicht besonders, und im Gegensatz zu Penwick, war Castandor wohl nochmal eine andere Art von Stadt. Und zugleich sah er doch das Potenzial, sich dort Informationen zu beschaffen und seine Begierde auszuleben, Menschen von ihren kostbarsten Trophäen zu befreien. Es war keine Emotionalität darüber vorhanden, dass er Penwick verlassen hatte, vielmehr war da ein kaltes Pflichtbewusstsein, eines Tages - erneut - nach Hause zu kommen. Vielmehr schätzte er es jedoch, nicht mehr im Käfig der Hafenstadt zu leben und das Leben frei zu genießen, denn als er los ritt, merkte er, dass er trotz seiner Pflicht frei war. Anders frei als noch vor einigen Tagen, wenngleich er im Gegensatz zu seinem Ziehbruder tatsächlich wohl schon immer vergleichsweise frei lebte. Doch Helias war nie wie sie - und deshalb befand er sich auch zahlreiche Kilometer von seiner Heimat entfernt, wenn man sie denn so nennen könnte.

Dass er bald etwas alte Heimat wieder entdecken würde, damit rechnete er nicht; er rechnete auch nicht damit, dass er auf diese Art und Weise passierte. Insgesamt rechnete er mit wenig davon, was in den nächsten Minuten passieren sollte. In jedem Fall entschloss er sich dazu, auf die letzten Kilometer hin noch einmal eine Pause einzulegen. Etwas abseits der Wege band er sein Ross an und trat dann mit zögernden Schritten über den Boden des Waldes. Grundsätzlich würde er sich als geschickt und vorsichtig bezeichnen, nicht umsonst hatte er seinen Ruf, doch irgendetwas ließ ihn unvorsichtig werden; er wusste nur nicht gänzlich, was es war. Glaubte er, sicher zu sein? Oder fühlte er sich draußen schon immer sicherer als in der Stadt, was zugleich zur Fehleinschätzung der Situation führte.

Wälder hatten etwas Beruhigendes. Zwischen Blätterrascheln und zwitschernden Vögeln gab es jedoch auch Menschen, die vorsichtiger waren. Das war jedenfalls sein erster Gedanke, der ihm in den Kopf schoss, als ein Seil ihn am Bein hochzog und er plötzlich die Welt aus einer Perspektive sah, die ihm unbekannt war: Kopfüber. Der Schreck war schnell vorüber; nicht jedoch die Sorge, wer ihn eingefangen hatte und wie er hier wieder rauskommen sollte. Mit einer ziemlichen Muskelkraft schaffte er zwar, das Seil zu erreichen, nachdem er seinen Dolch aus der Scheide zog, doch das durchzutrennen, würde vermutlich Stunden dauern. Obwohl er kurz überlegte, nach dem Verantwortlichen zu rufen, tat er es nicht. Faktisch wäre dies genauso unvorsichtig, oder nicht? Noch hatte er eine Chance, zu entfliehen - wie auch immer er das schaffen wollte.



RE: the world is wrong side up - Tyra Winters - 09-09-2024

Für die Einen hatte die Atmosphäre der lächerlich winzigen Laubhaine Castandors etwas Beruhigendes an sich, für Andere jedoch war es einer der wenigen Möglichkeiten, Schutz zu suchen, während die Sonne ihren Zenit erreichte und das Königsland in einer allumfassenden Mittagsruhe verharrte. Tyra hasste es, um diese Tageszeit zu reisen, sie bevorzugte die Nacht und die späten Abendstunden, doch wichtige Dinge drängten sie dazu, auch keine Zeit am Tage zu vergeuden, indem sie Angst um den Verlust ihres Kopfes vorschob. Und ebenjene Sorge ließ die ohnehin grundsätzlich misstrauische Söldnerin nahezu paranoid agieren. So sehr, dass sie sogar damit rechnete, dass ausgerechnet ihr ein einsamer, dunkel gekleideter Reisender auf der gleichen Route ans Leder wollte.

Eine Weile hatte sie ihn bereits verfolgt, analysierte immerzu sein Verhalten, lauschte auf das verräterische Geräusch von scharfen Klingen unter dem trügerisch unauffälligen Mantel. Sein Gesicht vermochte sie im immerwährenden Halbdunkel der Schonung nicht erkennen, doch das musste sie auch nicht; Tyra Winters spürte es tief in ihren Eingeweiden, wenn jemand es auf sie abgesehen hatte. Na ja ... und der Verlust ihres Schutzamulettes mit den Fangzähnen einer sommerländischen Wüstennatter hatte ihr bereits prophezeit, dass ihr alsbald Unheil widerfahren würde. Tja, hier war sie nun! Und dieser Kerl dort, der für ihre sensiblen Ohren durchs Gehölz brach wie ein sterbender Ochse in seinen letzten Zügen, den hatte man auf sie angesetzt? Beinahe fühlte sie sich beleidigt! Doch die Gefahr, die trotz des Lärms von dem Unbekannten ausging, wagte sie nicht zu unterschätzen. Deswegen legte sie mehrere Fallen aus, verließ sich auf ihre Fertigkeiten in Schlingen und Knoten, bevor sie sich zu ihrem unauffälligen Rastplatz zurück stahl und dort den Dingen harrte, die früher oder später kommen würden.

Ihre dort wartende Stute horchte als Erstes auf und wies Tyra mit ihrer alarmierten Blickrichtung den richtigen Weg zur ausgelösten Falle. Dass ihre Beute die Richtige war, vernahm die Winterländerin bereits aus der Ferne und ein hochzufriedenes, beinahe glückliches Lächeln erhellte ihre Züge. Mit einem genussvollen Seufzen zog sie bereits ihren allerliebsten Dolch hervor, während sie sich näherte und stieg erst von ihrem Pferd, als sie den zappelnden Kerl am Seil baumeln sah. Gerade so, dass er den Boden nicht erreichte und im Zweifelsfall trotzdem ein reiches Festmahl für die Wölfe werden würde. Kurz beobachtete sie milde beeindruckt, wie er es doch tatsächlich schaffte, sich trotz der prekären Situation selbst zu bewaffnen und mit schierer Muskelkraft kopfüber an seinen Füßen zu schaffen zu machen. Gemächlich schlenderte sie auf ihren vermeintlichen Verfolger zu, ließ die Klinge durch ihre Finger gleiten und legte diese schließlich in aller Seelenruhe an die sensibelste Stelle seiner Kehle. Und obwohl der Mann sofort in der Bewegung erstarrte, entschloss sich ein einzelner Blutstropfen, den Weg entlang seines muskulösen Halses zu bahnen. »Kann man Euch helfen?«, fragte sie leichthin, als würde sie ihn nach dem Weg fragen. Blitzschnell jedoch umklammerte sie nun von hinten seinen Hals, drückte zu und hielt die scharfe Klinge in einem tödlichen Winkel unter seinen linken Rippenbogen. »Spar dir die Antwort. Was willst du von mir, Arschling?« Nun zischte sie nur noch durch zusammengepresste Zähne, während sie seine unglückliche Haltung zu ihrem Vorteil nutzte und ihm durch das Mehrgewicht nun doch ein wenig mehr seiner behänden Geschicklichkeit nahm.



RE: the world is wrong side up - Helias Winters - 01-12-2024

Womöglich hätte sich Helias bis zu einem gewissen Zeitpunkt als vorsichtiger, ja, klüger bezeichnet als das, was ihn heute erwartete. Womöglich war es, wenn man an so etwas glaubte, auch Schicksal - die Tatsache, dass er in eine Falle tappte, die jemand stellte, die er kannte. Irgendwann würde er sich wohl einreden, dass sie das von ihm lernte oder sie zumindest zusammen aufwuchsen und es quasi fast etwas war, das er sich selbst gestellt hätte. Vielleicht hatte er aber bei aller Wildheit das Leben des Adeligen mehr übernommen als ihm lieb war. Tyra hingegen, von der er noch nicht ahnte, ihr jemals wieder zu begegnen, wuchs quasi damit auf und lebte darin. Gewiss war, dass die nächsten Minuten ihn länger ärgern würden als er zugeben würde. In jedem Fall, so schien es, war jene fremde Person gewappnet, wenn der Einäugige ihr etwas hätte tun wollen.

Womöglich verfolgte sie ihn schon einige Zeit. Helias hätte es erahnen müssen. Als Jugendlicher hätte dies seinen Tod bedeutet. Genau genommen hätte auch das hier seinen Tod bedeuten können, womöglich würde ihn am Ende nur die Tatsache retten, dass sie einander kannten. Eine gefährliche Garantie - eine, die eigentlich fast nahezu selten war. Und doch erfasste sie ihn im Glauben, dass er es auf sie abgesehen hätte. Helias jedoch ahnte nichts, geschweige denn suchte oder spürte er etwas. Zum Gejagten zu werden, wäre am Hof für ihn eine noch größere Schmach. Und ehrlicherweise war die Aktion auch recht peinlich. So überlegen er sich nämlich in der Stadt fühlte, so unbegabt war er womöglich in der freien Natur. Die Jahre des Adels waren nun auch irgendwie in ihm angekommen.

Wahrlich, als die Schlinge ihn in die Höhe zog, er quasi in die Falle tappte, war sein erster Gedanke Tyra. Er wusste nicht warum, doch er wusste, dass sie ihn womöglich verspottet hätte. Als er am Bein hochgezogen wurde und hinunterhing, erkannte er nicht wirklich ein klares Gesicht. Eine Frauengestalt, ja, und eine Frauenstimme. Sie klang nicht sanft oder zierlich, nein, aber bekannt kam sie ihm auch nicht vor. Es waren immerhin Jahre. Unweigerlich fand sich ein Dolch an seiner Kehle - und dass ein feiner Schnitt reichte, um das Leben aus dem Mann zu tilgen, wusste sie - und machte ihre Bereitschaft deutlich. Helias hat noch nie jemanden getötet - das war wohl ihr Unterschied?
"Ihr ...", verfiel er kurz in einer höflichen Adelsform, um kurz zu husten und doch die Sprache anzupassen: "Du wirst mir wohl kaum glauben, wenn ich sage, dass ich rein zufällig hier bin?" In der Regel war er der Verlierer. Sollte sie ihm alles bis auf die Haut stehlen, Besitz war als Adeliger nur zweitrangig für ihn. An seinem Leben hing er letztlich irgendwo doch. "Du kannst alles in meinen Taschen haben, ich wollte eigentlich nur .. erkunden."



RE: the world is wrong side up - Tyra Winters - 05-01-2025

Tyra presste die Lippen zusammen, schob die Klinge ein winziges Stück fester an die Flanke des Fremden, um ihren Punkt zu untermauern. Seine Worte waren ein jämmerlicher Versuch, sich aus der Situation zu winden. Erkunden? Als ob! Ihre Lippen verzogen sich zu einem bitteren Lächeln, ehe ein trockenes Lachen ihre Kehle verließ. Es klang hart, beinahe mechanisch, als hätte sie die Emotion dahinter schon vor langer Zeit verloren. »Erkunden…«, wiederholte sie in einem Tonfall, der von blankem Zynismus durchzogen war. »Natürlich. Und dabei hast du zufällig eine Falle übersehen, die selbst ein Betrunkener bemerkt hätte?« Sie schürzte die Lippen, musterte abschätzig seine Rückansicht und zog die Klinge mit einer spielerischen Bewegung ein wenig zurück, ohne jedoch die Kontrolle über seine Haltung aufzugeben. »Glaubst du, ich bin so dumm? Du hast mich verfolgt, und jetzt hast du dich dämlicher angestellt, als ich erwartet hätte. Aber keine Sorge – es wird nur kurz weh tun, ich habe keine Zeit für Spielchen.« Mit einem Ruck drehte sie ihn herum, den Dolch weiterhin fest in der Hand, bereit, den Todesschnitt zu setzen, falls er auch nur den Hauch einer Gegenwehr zeigte. Doch als sie ihm ins Gesicht sah, erstarrte sie. Für einen Moment war da nur die kühne, harte Maske der Söldnerin, die jeden Zweifel an ihrem Vorhaben auslöschen sollte. Doch dann – langsam, fast schmerzlich – schob sich eine andere Erkenntnis durch den Nebel ihrer Gedanken. Ein Gesicht. Eine Augenklappe. Züge, die ihr vertraut waren wie ihr eigener Name. Nur, dass sie jetzt kantiger waren, gezeichnet von Jahren, die ihn geformt hatten. Die Männerstimme, die sie noch nicht zuordnen konnte, hatte ihn für einen Fremden gehalten, doch jetzt… jetzt sah sie, wer er wirklich war.

Helias.

Ein Schwall von Erinnerungen überkam sie, als wäre ein Damm gebrochen. Die Schreie eines Jungen, der die Aufmerksamkeit eines Bären auf sich zog, um sie zu retten, die sich wieder einmal unnötig in Schwierigkeiten gebracht hatte. Das helle Rot seines Blutes, als er sein Auge verlor. Die bitteren Tage, als sie beide in Norsteadings Dreck und Elend ums Überleben kämpften. Sein Blick, der damals schon so anders war als ihrer – nach vorne gerichtet, immer irgendwohin unterwegs, wohin sie ihm nicht folgen wollte. Ihre Hand mit dem Dolch zitterte einen Moment. Sie konnte es nicht verhindern, so sehr sie es auch wollte. Ein Muskel zuckte in ihrem Kiefer, während sie ihre Gedanken ordnete. Es dauerte nicht lange, doch die Sekunden fühlten sich an wie eine Ewigkeit. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, nicht, was sie fühlen sollte. Also entschied sie sich für das, was sie immer tat: das Offensichtliche ignorieren, das Kinn zum Angriff senken und mit dem Kopf voran ins Chaos stürzen.

Mit einer schnellen Bewegung schnitt sie das Seil durch. Helias fiel unsanft zu Boden, ein ersticktes Keuchen entkam ihm. Tyra beobachtete ihn, die Klinge immer noch in der Hand, als würde sie auf den nächsten Angriff warten. »Ich hätte mehr von dir erwartet ... Helias«, sagte sie schließlich, ihre Stimme nun kühl und distanziert. »So eine lahme Ausrede? Das ist alles, was du nach all den Jahren zu bieten hast?« Ihre Worte trugen einen Stich von Verachtung, doch ihre Augen zeigten einen Hauch von etwas anderem. Etwas, das sie nicht benennen konnte und auch nicht benennen wollte. Tyra zog sich einen Schritt zurück, ihre Bewegungen angespannt, beinahe mechanisch. »Steh verdammt nochmal auf. Bevor ich es mir anders überlege.« Es war schwer, die harte Schale aufrechtzuerhalten, doch sie war Tyra Winters. Und Tyra Winters ließ keine Risse in ihrer Rüstung zu, schon gar nicht bei einem Geist aus der sorgsam verdrängten Vergangenheit. Sie wartete, ohne eine Hand zur Hilfe auszustrecken, und versuchte, den Ansturm der Erinnerungen niederzukämpfen. Dass er hier war, dass er wirklich vor ihr stand – das konnte nur Schwierigkeiten bedeuten. Und Tyra hatte schon genug davon in ihrem Leben. Dennoch, so sehr sie sich wehrte, etwas in ihrem Inneren regte sich. Ein leiser Funke, den sie nicht unterdrücken konnte, egal, wie sehr sie es versuchte.

Es war Helias. Und das machte alles komplizierter, als sie es je haben wollte.



RE: the world is wrong side up - Helias Winters - 09-01-2025

Im Nachhinein würden ihm wohl die Schuppen von den Augen fallen: Die Art wie sie redete, wie sie sich ausdrückte ... Sie war älter, ja, reifer geworden, aber im Kern hatte sie sich doch gar nicht so arg verändert, oder? In diesem Moment allerdings war er weit davon entfernt, diesen Schluss zu ziehen, so offensichtlich er doch war. Womöglich lag es daran, dass er kopfüber in einer Falle hing und wenngleich er gewiss nicht ängstlich war, so musste er zumindest der Tatsache ins Auge sehen, dass er in einer brenzligen Situation steckte, die tödlich enden konnte. Andererseits war er von einer ziemlichen Bedeutung; wenn die Personen also nicht gerade hinter einem Stein lebten, so wussten sie, dass sein Tod eher für Aufruhr sorgen würde. Als sich die Situation ergab, dass es nur eine Frau war, so wurde er zumindest hoffnungsvoll, dass er irgendwie aus diesem Seil raus kam, sei es aus Überzeugung oder geschickter Gewalt. Es half aber auch, die Hilflosigkeit in der Falle kennengelernt zu haben - eine Lektion fürs Leben quasi, die für viele die letzte Lektion war.
Und es würde seine letzte Lektion werden. Sie war nicht überzeugt von seinen Wort - und ziemlich direkt. Das erste Mal schoss nun Angst - ja, wohl Todesangst in den Mann, der noch ein kurzes "Nein, nein, warte ..." herausbrachte - bis sie einander ansahen. Ob er ihre Züge erkannte oder sofort wusste, dass ihr Zögern etwas Größeres zu bedeuten hatte, war wohl im Nachhinein schwierig rekonstruierbar. Hätte sie nun das Messer angesetzt, dann hätte er ihren Namen wohl nicht aussprechen können.

Grundsätzlich konnte er es auch nicht. Es waren zu viele Gedanken, die auf ihn eindroschen, als er vor ihr hing. Eben noch fast dem Tode nah, starrte sie ihn nun an. Aus einer harten Miene wurde eine weiche - und er konnte sich nicht annährend erklären, was dazu führte. Doch der Moment des Zögerns ließ zu, dass er die Fakten langsam miteinander verknüpfte. Sie schnitt also das Seil durch und so unsanft er in die Höhe gezogen wurde, so unsanft fiel er zu Boden. Aber lebendig, zumindest glaubte er das nach dem Sturz, die zumindest zu ein paar Prellungen führen würde - nichts, was er nicht gewohnt war. Erst als sie seinen Namen aussprach, wurde es offensichtlich. Es war als lag ihm ihr Name auf der Zunge, doch er war zu beschäftigt damit, sich an das eigene Leben zu klammern. Tyra. Es löste etwas in ihm aus; eine Freude, die allerdings von der Situation überschattet wurde - oder zumindest noch nachhallte. Sie waren wohl beide keine Menschen, die einander um den Hals fallen würden. Sie beide jedoch hatten sich auch verändert, sie waren keine Kinder mehr. Er verstand ohnehin nie, was er für sie empfand, immerhin hatte er sie gerettet und sich ein unverkennbares Merkmal eingeholt - eines, das wohl bis heute dazu führte, dass man ihn eher fürchtete als bewunderte. Als lediger Mann keine einfache Aussicht.

Er kehrte rhetorisch jedoch schnell zur Lockerheit zurück - einfach um nicht zu zugeben, dass ihm soeben das Herz in die Hose gerutscht war. "Ich sehe du hattest einen guten Meister ...", sagte er fast schon neckisch, während er auf dem Boden lag. "Der etwas eingerostet ist, das stimmt ..." Sie neckte ihn, was nichts Neues war. Früher war es eine Art Liebessprache, wenn man es so nennen wollte. Es war jedoch ungewohnt, am Hofe drückte man sich so gewählt und bewusst aus. Während er sich erhob, schaute er sich die Konstruktion der Falle an - etwas, was man sehen konnte. "Die Jahre am Hofe zwischen all den parfümierten Ärschen, heißen Bädern und weichen Betten tun mir wohl nicht so gut." Selbstkritik war durchaus berechtigt. Dann schwieg er, schaute sie an, bis er ein "Tyra ..." hervorbrachte. Es klang wehleidig, vermissend und trotzdem derb. Er war sich nicht ganz klar, was er tun sollte, um die Freude auszudrücken. "Gut siehst du aus. Fühlst du dich oft von Männern verfolgt?"



RE: the world is wrong side up - Tyra Winters - 15-05-2025

Tyra starrte ihn an, als hätte er eben den dümmsten Satz des Jahrhunderts gesagt. Und vielleicht hatte er das auch. Ihr Name auf seinen Lippen hallte in ihr nach wie ein alter Fluch – etwas, das nicht ausgesprochen werden sollte, weil es sonst zu viel mit sich brachte. Sie konnte nicht sagen, was sie mehr störte: dass er sie erkannt hatte oder dass sie nicht schnell genug war, es zu verhindern. Ihr Blick verfinsterte sich, ein kaum sichtbares Muskelzucken zog über ihre Wange, als sie sah, wie sich seine Züge veränderten. Es war, als würde er die ganze Situation langsam zu begreifen beginnen, als hätte er tatsächlich geglaubt, diese Begegnung würde mit einem geselligen Plausch und einem feuchten Händedruck enden. Tyra trat einen weiteren Schritt zurück, als müsse sie sich vor der Flutwelle an Erinnerungen in Sicherheit bringen, die unaufhaltsam auf sie zurollte.

»Halt’ die Klappe«, knurrte sie, die Stimme rau, kratzig, als hätte sie sich daran verbrannt. Sie ballte die Hand um ihren Dolch fester, obwohl sie längst wusste, dass sie ihn nicht mehr einsetzen würde – zumindest nicht auf die Art, wie sie es ursprünglich geplant hatte. »Sprich nicht in diesem Ton. Nicht mit diesem Blick. Und schon gar nicht mit diesem … wehleidigen Scheiß in deiner Stimme.« Sie lachte trocken, bissig, eine Klinge aus Spott. »Guter Meister …  wenn du meinst. Was ich gelernt habe, hab ich gelernt, weil mir keiner den Arsch gepudert hat. Weil niemand da war, der mir ein weiches Bett aufgeschüttelt oder meine Wunden versorgt hat. Ich musste lernen, schnell, weil ich sonst verreckt wäre. Und du –« Ihre Stimme schnitt durch die Luft, schärfer als jede ihrer Klingen. »Du hast dir offenbar dein edles Hofleben zu Kopf steigen lassen, was? Denn ich sehe hier keinen Mann vor mir, Helias. Ich seh einen verdammten Idioten, der zu arrogant ist, ein Seil auf dem Boden zu erkennen und dann auch noch glaubt, mit so einem lahmen Spruch durchzukommen.« Ihre Augen flackerten für einen Moment, als sie seinen Blick auffing. Ein Funke, vielleicht. Oder ein alter Riss in seiner jovialen Fassade, den sie vergessen hatte. Sein Gesicht war gezeichnet, reifer, härter, aber nicht weniger vertraut. Und das war das Schlimmste daran. Es war nicht wie bei all den anderen, die sie in ihrem bewegten Leben bereits zurückgelassen hatte – seine Züge blieben hängen. Festgenagelt in einer Erinnerung, die sie nie gewollt, aber nie ganz losgelassen hatte.

Ohne ein weiteres Wort trat sie an ihm vorbei, wie um ihm endgültig den Rücken zu kehren, nur um sich dann plötzlich wieder zu ihm zu wenden. Mit einem knappen Schritt war sie vor ihm, packte ihn am Kragen seines Mantels und zog ihn ein Stück näher an sich heran – nicht grob, aber bestimmt. Ihre Miene war unlesbar, die eisblauen Gletschertiefen jedoch brannten. »Du willst wissen, ob ich mich oft von Männern verfolgt fühle? Nein. Nur von Geistern. Und du bist einer davon. Einer, den ich unter der Erde geglaubt hab oder wenigstens weit genug weg, dass er mir nicht mehr mit seinem blasierten Arsch vor die Füße stolpert.« Sie ließ ihn abrupt los, so als wäre ihr seine bloße Nähe zuwider. Doch da war keine Wut in der Bewegung – nur Erschöpfung. Und etwas anderes, das sie nicht benennen wollte. Tyra wandte sich ab, ging ein paar Schritte, steckte den Dolch wieder in die Lederscheide an ihrer Hüfte und ließ die Hand dann in ihrem Gürtel ruhen, angestrengt darauf achtend, nicht an diesem zu nesteln. »Ich geb’ dir einen Tipp, Hofheld: Wenn du dich wieder in den Wald wagst, zieh etwas an, das nicht laut Wohlstand schreit und schleiche nicht wie ein räudiger Köter durch die Büsche. Sonst bin beim nächsten Mal vielleicht nicht ich es, die dich vom Baum holt. Und dann wirst du dir meinen gnädigen Dolch zurückwünschen.« Sie sah nicht zu ihm zurück. Nicht sofort.

Erst als sie wieder die Pferde hörte, wie sie ungeduldig den Boden scharrten, hob sie das Kinn und drehte sich halb zu ihm, eine lichtblonde Braue misstrauisch gehoben. »Was tust du überhaupt hier draußen? Hast du das höfische Getue endlich satt?« Noch ehe er antworten konnte – oder sich versah – trat sie wieder näher, fast als würde sie etwas an ihm prüfen. Ihr Blick wanderte an seinem Körper entlang. Nicht lüstern. Eher analytisch. Seine Statur war kräftiger geworden, mehr Masse, mehr Muskeln, weniger der dürre Bursche, der ihr gerade einmal bis zur Schulter gereicht hatte, als sie gemeinsam die Vorratskammer der alten Vettel aufgebrochen hatten, um im Anschluss die Prügel ihres Lebens zu erhalten. Ihre Augen verengten sich. »Du bist ja tatsächlich letztendlich noch gewachsen. Aber ich frage mich –« Ihre Stimme senkte sich, fast zu einem Raunen – »ob das auch dort drinnen der Fall ist.« Sie rammte ihm einen spitzen Zeigefinger in die harte Brust, und dann – als wäre sie erschrocken über ihre eigenen Worte – wandte sie sich brüsk ab, zog die Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt. Statt weiterzusprechen, trat sie zu ihrem Pferd, schnappte sich die Zügel und prüfte kurz die Satteltaschen. Alles in Ordnung. Alles unter Kontrolle. Nur nicht das hier. Nicht er.



RE: the world is wrong side up - Helias Winters - 06-06-2025

Gab es Zufälle? Manchmal glaubte er nicht daran. Es wirkte manchmal, als würde das Leben sich Situationen von Hand zu Hand reichen, ineinander übergehen - von Tragödien bis zu Glücksmomenten - um einen da hin zu führen, wo man hin sollte. Früher nahm er sich mal vor, Tyra aufzusuchen, sobald sich die Möglichkeit ergab. Er sah sich manchmal gar als Ritter, der Tyra von den eins doch schwierigen Lebensverhältnissen gerettet hätte. Hätte er das getan, wäre sie wohl in einem Lachanfall ausgebrochen. Zugleich weiß er nicht, ob er das Gefühl gehabt hätte, irgendjemanden retten zu müssen. Manchmal hatte er eher gehofft, dass sie ihn rettete, denn sein Leben am Hof war mehr ein Gefängnis - etwas, was ihn eingrenzte, einsperrte. Die Idee, dass sie plötzlich in seinem Fenster auftauchte, um ihn rauszuholen, war durchaus da.

Und so tappte er inmitten des Waldes in ihre Falle. In den meisten Fällen wäre er nun tot. Er wusste nicht genau, was er von ihren Worten halten sollte. Irgendetwas zwischen Wut, Kritik, Verletztheit? Sie wusste, dass nicht er die Wahl getroffen hatte. Helias selbst blieb ruhig, lauschte schlicht. Ihre Fassade, die sie aufgebaut hatte, veränderte sich. Trotzdem sah er da noch das Mädchen, mit dem er aufwuchs. Er erkannte, dass sie es begraben hatte. Ähnlich wie er wohl sich begraben musste, um zu überleben und durchzukommen. Unberechtigt war ihre Kritik nicht. Und zugleich nahm er es nicht als Tadel auf, blickte nicht beschämt zu Boden. Helias blieb locker in seiner Art, lauschend, aufmerksam - und doch wohl irgendwie adelig, wie er dort zu ihr aufsah. Und ein Kommentar konnte er sich doch nicht verkneifen: "Oh, glaub mir, der Hof ist ein größeres Schlangennest als die Wildnis." Sein Blick blieb aufrecht. "In der Wildnis weiß man wenigstens, wer einen umbringen will." Wenn man die Falle sah, jedenfalls.

Derb war sie in ihrer Art dennoch weiterhin. Das schätzte er ja auch an ihr. Sie schätzten sich aber anders. Helias war der Ruhepol, was der Dynamik oft gut tat. Und doch gab es da dieses Ungebremste, das selten zu Vorschein kam, aber da war. Und so ließ er sie ... abkühlen. Auf gewisse Art und Weise. Als sie sich weg bewegte, überraschte sie aber auch ihn damit, wie sie ihn am Kragen packte. Es waren viele Emotionen, die sie zeigte, lebte, während Helias kaum welche zeigte. Das unterschied sie wohl von jeher. Konnte er was erwidern? Dass er sie mitnehmen oder mit ihr flüchten wollte? Dass es nicht seine Wahl war? Sie wusste es, er wusste es. Es gab keinen Grund, alte Wunden aufzureißen. "Das hätte ich auch nicht erwartet ...", entgegnete er doch ruhig. Es gab wohl viele, die er hier erwartet hätte ... Und so ließ er auch diese Tirade über sich ergehen. Sie hatte recht damit, dass es wohl bessere Kleidung dafür gab. Andererseits plante er nicht zwangsläufig diese Art von Tour.

Erst nach einigen Minuten schien es, dass sie abkühlte, stiller wurde, ruhiger wurde. Das war bei Tyra relativ. Er erkannte, dass sie nicht wütend auf ihn war, sondern er etwas aufriss, was sie längst aufgegeben hatte. Unweigerlich fühlte Helias dasselbe, aber er stellte es außergewöhnlich ... gelassen dar. Innerlich wusste er jedoch kaum, richtig zu reagieren. Er war froh, sie gefunden zu haben, denn ... sie wirkte wie ein Schlüssel aus dem Gefängnis, in dem er gefangen war. "Ich habe es schon ewig satt. Aber es ist ... ein Gefängnis. Ein goldener Käfig. Jeder Moment, an dem ich nicht in meinen Gemächern bin, ist für mich befreiend. Also ja, ich ... wandere. Durch die Stadt, durch die Wildnis.", erklärte er kurzerhand.
Dann musterte sie ihn, was er entgegnete. Sie waren beide nicht mehr die jugendlichen Gestalten von damals. Er dürr, sie mehr ein Knabe als Mädchen. Dies änderte sich - heute war sie eine attraktive Frau, wenngleich er dies nicht lustvoll feststellte, sondern realistisch. Ihr Verhalten jedoch blieb beim Knaben. Sie wirkte Unruhig, emotional - und Helias, der die Ruhe selbst schien, war überfordert. "Das gilt auch für dich." Gut, sie war wohl muskulöser als die Frauen, die er kannte. Sie würde wohl so einigen Rittern am Hofe Konkurrenz machen.
War er dort drin gewachsen oder ist doch nur verkommen? Was kryptisch schien, brachte ihn zum Nachdenken. Die Zeit veränderte ihn, vieles an ihm. Tief in seinem Inneren fühlte er sich dennoch wie der wilde Junge von damals. Er glaubte immer, dass er sich wieder Zuhause fühlen würde, wenn er Tyra begegnet. Doch nun fühlte er sich fremd in zwei Welten. "Immer.", entgegnete Helias knapp. "Ich hatte immer gehofft, dich wiederzufinden." Und wenngleich er nicht wusste, ob es angemessen war, tat er es trotzdem: "Und was ist mit dir?"


RE: the world is wrong side up - Tyra Winters - 08-10-2025

Tyra strich ihrer Stute mit der flachen Hand über den Hals, das Fell unter ihren Fingern lebending und vertraut, ganz im Gegensatz zu dem, was sich in ihrer Brust regte. Sein Ton, dieses leise Bedauern darin, schnitt schärfer als ihr bester Dolch. Goldener Käfig - sie biss sich auf die Innenseite der Wange, um das Lachen zu unterdrücken, das in ihr aufkam, doch es brach trotzdem hervor. Rau und spöttisch. »Ein goldener Käfig, ja?«, wiederholte sie mit dieser galligen Mischung aus Belustigung und Bitterkeit, die sie so meisterhaft beherrschte. »Muss ja furchtbar gewesen sein. All die schrecklich opulenten Mahlzeiten von bestem Geschirr, ein weiches Bett unter dem Arsch, die sauberen Hemden und die Weiber, die dir ganz sicher nicht nur den Wein eingeschenkt haben. Wie hast du das nur überlebt? Ich kann mir kaum vorstellen, wie du es ertragen hast, jeden Morgen aufzuwachen, ohne dass dir ’ne Ratte über das Gesicht läuft oder dein Atem gefriert.«

Ihre Stimme troff vor Spott, doch sie klang nicht mehr ganz so sicher, nicht mehr ganz so standfest. Das Lachen erstarb in ihrem Hals, noch ehe sie die Zügel ganz losgelassen hatte. Sie beugte sich vor, prüfte mechanisch den Gurt am Sattel, spürte kurz dem Impuls nach, einfach zu verschwinden, doch eigentlich tat sie all das nur, um beschäftigt zu wirken. Als müsse sie irgendetwas mit den Händen tun, damit diese unliebsamen Gedanken keinen Raum fanden. »Ein Käfig, das ich nicht lache. Manche hätten sich die Finger danach geleckt, eingesperrt zu werden, wenn es bedeutet hätte, satt zu werden. Aber du, mit deinem goldenen Löffel im Mund, du hast es bestimmt schwer gehabt, du Held.«

Das letzte Wort kam schärfer heraus, als sie es beabsichtigt hatte. Sie presste die Lippen aufeinander, um dem leichten Zittern in den Mundwinkeln Einhalt zu gebieten. Verdammt. Sie wusste im Grunde genau, dass sie Helias Unrecht tat. Er hatte nie wirklich zu denen gehört, die sich gerne in Samt hüllen würden, oder von Macht träumten. Und trotzdem war er fortgegangen. Und trotzdem hatte er sie zurückgelassen. Das war alles, woran sie denken konnte, egal, wie sehr sie versuchte, es zu verdrängen.

Tyra atmete durch die Nase aus, lang und leise. Sie wusste, dass es töricht war, ihm den Rücken zuzudrehen. Jeder fähige Kämpfer würde das als Einladung verstehen, die Oberhand zu gewinnen. Aber ihr Instinkt flüsterte ihr etwas anderes zu: Dass von diesem hier keine Gefahr für sie ausging. Dass er ihr nichts antun würde.  Sie konnte kaum glauben, dass dieser Instinkt noch immer so stark war, nach all den Jahren. Ihre Finger fanden einen anderen Lederriemen am Sattel, zogen daran, lösten ihn wieder. Beschäftigung statt Denken. Doch dann stockte ihr Atem, als seine letzten Worte sie erreichten. Ich hatte immer gehofft, dich wiederzufinden.

Sie erstarrte in der Bewegung, das Herz in ihrer Brust schlug plötzlich einen Takt zu schnell. Die Stute schnaubte, als spüre sie ihre Anspannung. Tyra zwang sich, nicht aufzusehen – und drehte sich dann doch um. Langsam. Widerwillig. Ihre Augen fanden die seinen. Und in ihren spiegelte sich etwas, das sie seit Jahren nicht mehr zugelassen hatte: Überraschung. Verletztheit. Und etwas, das gefährlich nahe an Hoffnung grenzte. Helias stand da, so aufrecht, so ruhig und gelassen, und für einen absurden Moment sah sie wieder den Jungen, der ihr die letzten Beeren vom Strauch aus einer tiefen Felsspalte aushändigte, als sie beiden seit Tagen nichts gegessen hatten. Den Jungen, der sie grob hinter sich gerissen hatte, als der Bär aus dem Dickicht gebrochen war. Der mit einem Auge weniger, aber mit einem Willen aus Stahl überlebt hatte. Der sie eines Morgens nicht mehr hatte ansehen können, als er ging. Der sich von ihrem Flehen nicht hatte aufhalten lassen.

Die Bilder drängten in ihren Kopf, roh und ungebeten. Der Geruch von kaltem Rauch, der Dreck unter seinen Fingernägeln, als er sie an ihren Schultern aus ihrer Jammerei geschüttelt hatte. Das Flackern des Feuers auf seinem Gesicht, als er ihr schwor, sie würde es auch alleine schaffen. Diese Bilder waren für lange Zeit ihre stetigen Begleiter in schlaflosen Nächten gewesen, bis das Leben ihr die Möglichkeit geboten hatte, zu vergessen. Und sie hatte es mehr als dankbar angenommen.

Sie zwang sich, erneut den Blick abzuwenden, sah einen Augenblick in die Ferne, bevor sie sich genug gestählt hatte, um ihre Miene zu klären. »Du solltest wissen, dass man mich besser nicht finden will, Helias.« Ihre Stimme klang noch heiser, schwer vor Erinnerungen. Dann fing sie sich jedoch endlich, schleuderte ein schiefes Lächeln hinterher, das jeden Versuch von Aufrichtigkeit kaschieren sollte. »Aber schön zu hören, dass du so wenig an deinem Leben hängst. Ich hoffe, das war es wert. Das Finden der verdammt nochmal besten Söldnerin Arcandas’, die dich gut und gerne filetiert hätte, hättest du nicht noch einen bei ihr gut gehabt.« Hatte er gedacht, Bescheidenheit sei mittlerweile Tyras Stärke, musste sie ihn leider enttäuschen. Ebenso verhielt es sich mit der Antwort auf seine Frage.

Stattdessen griff Tyra nach ihrem Wasserschlauch aus der Satteltasche, trank einen ausgiebigen Schluck und spuckte einen kleinen Rest des billigen Fusels auf den feuchten Waldboden. Dann reichte sie ihm das Ledergefäß, ohne ihn anzusehen. Eine Geste, mehr Reflex als Bewusstsein. »Trink. Sieht aus, als könntest du einen Schluck davon brauchen. Und wenn du mir gleich wieder irgendein großes Bekenntnis um die Ohren haust, will ich wenigstens die Hände frei haben, um dich mal so richtig durchzulassen.« Sie hielt ihm den Schlauch hin, schüttelte ihn ungeduldig, den Blick trotzig auf ihre Stute gerichtet, die ihre Ohren mittlerweile angelegt hatte, als würde sie den Sturm zwischen den Menschen wittern.