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beneath northern skies - Veith Alvarsson - 29-03-2025

Veith gehörte nicht zu den geselligsten oder zugänglichsten Zeitgenossen am Hof. Doch das hatte ihm nie geschadet. In Wintergard zählte vor allem seine Loyalität zum König und seine Fähigkeit, selbst in hitzigen Auseinandersetzungen einen kühlen Verstand zu behalten. Mit der distanzierten Gelassenheit eines Mannes, der den Übungsplatz besser kannte als den Tanzsaal, verkörperte er die Essenz eines Kriegers: scharfsinnige Beobachtungsgabe, taktisches Geschick und die unerschütterliche Bereitschaft, zu handeln, wenn es darauf ankam. Seine Entscheidungen waren nüchtern und durchdacht, das Ergebnis jahrelanger Erfahrung und harter Lehren. Womit Veith jedoch weniger Erfahrung besaß, so war es als Geleitschutz für eine Prinzessin zu dienen, denn er war nicht gerade für sein einnehmendes Wesen bekannt.
Er schwieg lieber, anstatt belanglose Konversation zu führen. Stattdessen beobachtete er aufmerksam seine Umgebung, seine Gedanken oft weit entfernt von den banalen Gesprächen, die um ihn herum stattfanden. Doch das war in diesem Fall womöglich sogar von Vorteil, immerhin glaubte er nicht, dass die Prinzessin viel Wert auf einen geschwätzigen Begleiter lag, sondern vielmehr eine ihrer Zofen für diese Zwecke mit zum Markt nahm.

Von den höfischen Gerüchten und dem ständigen Klatsch hielt sich Veith für gewöhnlich fern. Er hatte weder die Geduld noch das Interesse daran, sich in die oberflächlichen Gespräche zu verstricken, die viele andere so zu fesseln schienen. Für ihn waren diese Scharmützel nichts anderes als belanglose Unterhaltung für diejenigen, die nie mit den wirklichen, lebensbedrohlichen Herausforderungen konfrontiert waren – Menschen, deren Hände nie in Blut getaucht waren, weil sie es vorzogen, die Konsequenzen ihrer Worte und Taten auf andere abzuwälzen. Trotzdem fand er sich nun in einer für ihn ungewöhnlichen Situation wieder. Leif hatte ihn gebeten, die Prinzessin zum Markt zu begleiten, da er selbst keine Zeit dafür hatte oder sich schlicht nicht darum kümmern wollte. Der weißhaarige Krieger wusste, dass sein Freund nicht viel mit seiner Ehefrau anfangen konnte und es überraschte ihn nicht, dass er die Aufgabe lieber weitergab.
Da der Nordländer durch den Unfall seines Vaters recht früh gelernt hatte, Verantwortung für eine Familie zu tragen, die noch aus einer Mutter und drei Schwestern bestand, kam er nicht umhin, auch eine gewisse Verantwortung der Prinzessin gegenüber zu empfinden. Genau wie seine Mutter, war Aleena in einer völlig anderen Welt aufgewachsen und fremd in dieser rauen Umgebung, deren Sitten und direkte Umgangston ihr sichtlich zu schaffen machten. Veith konnte es ihr nicht verübeln, denn für jemanden von außen musste sein Volk wie ein ungestümer, ungehobelter Haufen wirken. Doch ob sie es wollte oder nicht, diese Menschen waren nun ihre Untertanen und es hatte schon viele Frauen aus fremden Königshäusern gegeben, die in eine Wirklichkeit wie diese verheiratet worden waren. Mit der Zeit würde Aleena in ihre Rolle hineinwachsen, jedenfalls hoffte er es für sie.

Nun stand der Krieger am Haupttor der Burg und wartete auf besagte Prinzessin. Der eisige Wind pfiff durch die steinernen Zinnen, wirbelte lose Schneeflocken über den Burghof und ließ den Atem der Wachen in weißen Schwaden aufsteigen. Knechte eilten mit gesenkten Köpfen über das Pflaster, während ein Stallbursche gerade dabei war geschäftig eines der Pferde zu satteln. Der Winter hatte die Stadt fest im Griff und selbst die Bewohner der Burg, die das raue Klima gewohnt waren, wirkten heute besonders ungeduldig, sich ins Warme zurückzuziehen. Veith verschränkte die Arme vor der Brust und ließ den Blick über den Hof schweifen. Der Wind trug das entfernte Wiehern der Pferde aus den Stallungen heran, während die Prinzessin noch immer auf sich warten ließ. Er zog den Umhang enger um die Schultern und atmete tief die kalte Morgenluft ein. Was auch immer dieser Tag bringen mochte, er würde ihn mit der gleichen stoischen Gelassenheit angehen wie jede andere Aufgabe, um die er gebeten worden war.


RE: beneath northern skies - Aleena Stelhammer - 30-03-2025

Das Herz voller Wärme, während draußen der Winter mit aller Macht versuchte sich gegen die Bewohner des Landes durchzusetzen. Schneewehen peitschten die eisige Luft umher, ließen die Männer und Frauen schnell wieder ins Innere der Burg laufen, während sie sich die Felle enger um die schmalen Schultern zogen. Kaum einer von ihnen war so wohlgenähert, dass man sich auf den wärmenden Effekt eines etwas beleibteren Körpers verlassen konnte - vor allem nicht die junge Prinzessin Aleena Stelhammer. Schon immer viel zu schlank für die meisten Kleider, die ihre Schneiderinnen ihr anfänglich anboten, hatte sie schon Schwierigkeiten eine handelsübliche Axt zu halten. Nicht, dass Leif seine Frau jemals mit einer Waffe in der Hand gesehen hatte, doch selbstverständlich hat es sich die junge Frau aus dem Frühlingsland nicht nehmen lassen, es insgeheim mal auszuprobieren, wie es sich anfühlen würde so einen derben Holzgriff zwischen den weißlichen Fingern zu halten. Das Gewicht war jedoch so schwer gewesen, dass sie die Waffe mit einer Hand nicht einmal hätte schwingen können. Und mit beiden Händen wäre der einzige Effekt vermutlich gewesen, dass sie sich durch den Schwung selbst von den Beinen gefegt hatte. Obwohl die Bediensteten sich alle Mühe gegeben haben nüchterne Gesichter zur Schau zu stellen, waren sie nicht besonders talentiert darin gewesen ihre Emotionen zu verbergen. Und noch ehe der Selbstversuch tatsächlich gestartet war, hatte Aleena ihn auch schon wieder beendet. Das Entsetzen auf ihren Gesichtern zu sehen hatte sie verletzt. Sie hatte sich diesen Körper schließlich nicht ausgesucht! Sie war anders aufgewachsen, als die Frauen es hier taten. Zu Hause, im Frühlingsland, da durften Frauen keine Waffen tragen. Höchstens Kinder. Erst im Bauch, dann auf dem Arm. Das war ihre Aufgabe. Ihre Bestimmung. Doch nachdem sie auch nach vier Jahren immer noch keines verzeichnen konnte, waren die Wangen noch eingefallener, als sie es sowieso schon oft der Fall gewesen waren. Bis jetzt. Seit wenigen Tagen war sie sich dessen ganz sicher, dass sich nun alles verändern würde. Dass sich nun alles zum Guten wenden würde. Zwar würde sie noch immer keine Axt schwingen können (vielleicht sollte sie es beim nächsten Mal einfach mit einem Dolch versuchen...), aber sie würde endlich ihr Kind tragen. Sie würde das tun können, für das sie bestimmt war. Und ehrlicherweise auch das, für das sie hier war. Einen Erben zur Welt zur bringen.

Die Wangen noch immer sehr schmal, dafür jedoch einen überraschend lebendigen Glanz in den Augen, hatte sie für heute entschieden einen Ausflug zum Markt in Wintergard zu machen. Nachdem sie die ganzen letzten Tage - wie eigentlich immer - in der Burg am Feuer und zwischen ihrer Familie verbracht hatte, war ihr heute danach die Nase in die Welt hinaus zu recken. Sie wollte das Leben spüren, wollte daran teilnehmen. Kein Versteckspiel mehr hinter dicken Mauern. Ja, sie würde irgendwann dieses Land regieren, wenn Ariald Stelhammer die Krone an seinen Erstgeborenen weitergeben würde, aber das war noch lange kein Grund sich so lange zurückzuziehen und das Leben an sich vorbei ziehen zu lassen. Vielleicht würde diese Schwangerschaft deutlich mehr verändern, als nur die Thronfolge. Vielleicht würde dieses Kind ihr endlich dabei helfen zu akzeptieren. Anzukommen. Hier im Winter. Im kompletten Gegenteil zu dem, was sie ihr Leben lang gekannt hatte.

Mit hoch erhobenem Haupt trat sie in den beißenden Wind hinaus, grüßte hier und da ein paar vorbei eilende Bedienstete, die ihr mehr verwirrte, als freundliche Blicke zuwarfen, und ging in Richtung des Haupttores. Leif hatte ihr leider absagen müssen: zu viele Ratsmitglieder bauten auf ihn und seine heutige Anwesenheit, doch dafür hatte er ihr einen anderen Begleitschutz zur Seite gestellt. Dafür durfte sie sogar den zwei normalen Wachmänner, die ihr sonst auf Schritt und Tritt folgen, den heutigen Vormittag frei geben. Sie würde ja schließlich nicht alleine gehen, sondern Veith Alvarsson, einer von Leifs besten Männern, würde sie begleiten.
Die Schritte nun nicht mehr ganz so zielstrebig, als sie über diese ungeplante Tatsache nachdachte. Ehrlicherweise war ihr nicht ganz wohl bei dem Gedanken, dass man den Mann dazu abgestellt hatte, ihr Babysitter zu sein. Sie konnte seine Gedanken förmlich hören, bevor sie ihn sah. Niemand hätte Lust auf diese Aufgabe gehabt. Vermutlich nicht einmal Leif. Obwohl sie sich vor wenigen Tagen noch in den Armen gelegen haben (das erste Mal seit immer...), hatte sich nun ihre Beziehung wieder mehr dem Normalzustand angenähert. Und dazu gehörte, dass ihr Ehemann nun mal ziemlich wenig Interesse daran hatte Zeit mit Aleena zu verbringen. Und verübeln konnte sie ihm das nicht einmal. Anders herum war es, wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst war, ja nicht einmal anders. Nur, weil sie jetzt ein gemeinsames Kind erwarteten, hatte das noch nicht alle Wände zwischen ihnen zum Einsturz gebracht. Dass sie den Tag also heute mit einem Mann verbringen sollte, mit dem sie noch weniger gemein hatte, verunsicherte sie. Für einen kurzen Moment hatte sie sogar überlegt diesen Ausflug kurzfristig abzusagen...

Mit nun also etwas weniger zielsicheren Schritten trat sie aus dem Haupttor heraus, vor dem der weißhaarige Winterländer schon auf sie wartete. "Kommandant Alvarsson", begrüßte sie ihn förmlich und war sich nicht einmal bei dem Titel besonders sicher. Sie nestelte nervös an dem Fell herum, das ihre Zofe ihr vor dem Hinausgehen noch über die Schultern gelegt hatte und trat von einem Fuß auf den anderen. "Ich glaube... wir sind vollzählig", kommentierte sie unnötigerweise ihre kleine Gruppe, die nur aus Amanda, Aleenas Zofe, und ihnen beiden bestand. Ehrlich gesagt wusste sie nicht, was sie sagen sollte und plapperte dann oft nervös darauf los.


RE: beneath northern skies - Veith Alvarsson - 30-03-2025

Seit ihrer Ankunft in Norsteading hatte Aleena Stelhammer Schwierigkeiten gehabt, in ihrer neuen Heimat Fuß zu fassen. Sie wirkte zu zerbrechlich, zu fein für das raue Klima des Nordens, als könne sie hier niemals wirklich Wurzeln schlagen. Die Frau vom Frühlingshof, die mit den ungehobelten Sitten der Nordleute wenig anfangen konnte, hatte in den vergangenen vier Jahren vieles lernen müssen und nicht alles davon war ohne Schmerz und Entbehrung geblieben. Man sah es ihr an. An diesem Morgen lag ein Hauch von Müdigkeit über ihrem Gesicht, ihre Züge wirkten eingefallen. Doch in ihren Augen glomm ein Leuchten, das nicht so recht zur düsteren Witterung passen wollte. Während sich die meisten adligen Bewohner Wintergards bei solchem Wetter ins Warme zurückzogen, schien Leifs Ehefrau wenig davon zu halten. Andererseits gab es somit am Markt umso weniger Besucher, was seine Aufgabe etwas vereinfachen würde.

Veith rieb unwillkürlich seine linke Schulter, in der ein dumpfes Ziehen saß. Die alte Verletzung aus einem Schwertkampf machte sich bei Wetterumschwüngen stets bemerkbar. Doch an diesem Tag blieb ihm das Training erspart und so ließ Veith den Blick über die Prinzessin gleiten, die mit zögernden Schritten und ihrer Zofe im Schlepptau den Hof durchquerte. Der feine Saum ihres Umhangs streifte den gefrorenen Boden, während der kalte Wind an den losen Strähnen ihres Haares zerrte. Schließlich kam sie vor ihm zum Stehen, ihre Haltung aufrecht und stolz. Veith deutete eine kaum wahrnehmbare Verbeugung an, während sie das Wort an ihn richtete. „Kein Kommandant, Mylady. Nennt mich einfach Veith“, erwiderte er, seine Stimme ruhig und gelassen. In anderen Ländern mochte man Titel und Herkunft hochhalten, doch in Norsteading waren es die Taten, die zählten.

Mit einer knappen Geste trat Veith zur Seite, um ihr den Weg freizugeben. Er wartete, bis sie mit ihrer Zofe an ihm vorbeigeschritten war und folgte dann in gebührendem Abstand. Während sie den Hof verließen, fiel ihm auf, dass er kaum mehr als ein paar höfliche Worte mit ihr gewechselt hatte, seit sie vor vier Jahren nach Norsteading gekommen war. Seine Mutter war damals außer sich vor Freude gewesen, als sie von der Ankunft der Prinzessin erfuhr, schließlich stammte auch sie aus Walleydor. Die Aussicht, jemandem aus ihrer Heimat zu begegnen, hatte in ihr eine warme, fast kindliche Begeisterung geweckt. Tagelang hatten er und seine Schwestern den unermüdlichen Erzählungen über die ferne Heimat lauschen müssen, bis sie schließlich erleichtert waren, als der ganze Hochzeitsrummel und das endlose Gerede über die zarte Braut allmählich verebbten. Hätten sie an diesem Tag Winfrith Alvarsson auf dem Markt getroffen, wäre sie zweifellos voller Stolz auf ihren Sohn gewesen, auch wenn Veith nicht recht begriff, warum. Für ihn zählte es weit mehr, die Einöde überlebt zu haben, als Bekanntschaft mit dem Prinzen und seiner Gemahlin zu pflegen. Nicht, dass er Leifs Freundschaft missen wollte, doch in seinen Augen machte sie ihn nicht zu etwas Besonderem.
Als sie durch das Tor auf den schlammigen Weg in Richtung Markt traten, räusperte er sich schließlich. „Verzeiht, Prinzessin, aber wir sollten den Weg durch den Wehrgang nehmen. Er bietet mehr Schutz vor dem Wind.“


RE: beneath northern skies - Aleena Stelhammer - 31-03-2025

Einfach nur Vieth sollte sie ihn nennen. Klang einfach, war es aber nicht. Die geborene Stafford war in eine Familie voller Höflichkeiten und Gesetzte geboren worden, in denen es nicht jemanden gab, der 'einfach nur war'. Es gab Prinzen und Prinzessinnen, Bedienstete und Zofen, Gesellschaftsdamen, Governanten und Schneiderinnen. Jeder hatte seinen Titel. Der Name dahinter war beinahe zweitrangig, auch wenn sich insbesondere Aleena immer die Mühe gemacht hatte ihn dazu zu sagen. Doch viel aussagen tat er nicht. Er war ein hübsches Beiwerk zu dem Titel, der einen auszeichnete. Der besagte, was man zu tun hatte. Womit man sein Leben verbrachte. Doch hier im Winterland sahen die Menschen das ein wenig anders. Was ihre Begleitung für den heutigen Tag von ihr verlangte, fühlte sich irgendwie falsch an. Fühlte sich so an, als wären sie schon jahrelang befreundet. Als wären sie vielleicht sogar zusammen aufgewachsen, denn dann war es durchaus möglich auch in Walleydor auf diesen Titel zu verzichten. Doch nichts davon traf auf Veith und Aleena zu. Sie waren Fremde, die für den heutigen Tag irgendwie miteinander zurecht kommen mussten. Zwei Menschen, die unterschiedlicher kaum sein konnten. Zwei Leben, die nur eine einzige Gemeinsamkeit hatten: Leif. Ihren Ehemann und seinen Waffenbruder. Und wenn man mal ehrlich war, dann hing selbst diese Gemeinsamkeit an einem losen Faden. Denn Leif und Aleena waren genau das. Zwei einzelne Menschen, die ebenso wenig zusammen gehörten, wie es bei Veith und der Prinzessin der Fall war.

Ein leises Seufzen entkam ihren Lippen, welches sogleich in einer weißlichen Wolke gen Himmel stieg. In diesem Moment befürchtete die Prinzessin, dass dieser Tag anstrengender wurde, als sie ursprünglich gedacht hatte. Und trotzdem waren die Worte, die nun sanft über ihre Lippen kam, kein Zeugnis von den Gedanken, die sie plagten. "Einfach nur Veith", stimmte sie zu und versuchte sich an einem Lächeln. Als er sie im nächsten Moment ebenfalls bei ihrem Titel nannte, hätte sie am liebsten die Stirn in Falten gezogen. Anders herum galt das wohl nicht, stellte sie fest und wurde nur einmal mehr an den Abstand zwischen ihnen erinnert.
"Was haltet Ihr davon, wenn Ihr einfach nur Veith seid und ich einfach nur Aleena bin?", fragte sie zaghaft und blickte aus großen blauen Augen an seiner Statur empor. Genauso wie Leif überragte er sie um mindestens zwei Köpfe und wirkte wie ein Koloss neben der zerbrechlichen Statur von Aleena. "Dann gehen wir durch den Wehrgang", entschied sie ungewöhnlich selbstbewusst und straffte erneut die Schultern. Sie wollte sich diesen Tag nicht kaputt machen lassen. Es machte nicht einmal einen Unterschied, ob sie mit Leif unterwegs wäre, oder mit Veith. Der Tag wäre vermutlich bei beiden Begleitungen ähnlich verlaufen, also konnte sie auch versuchen das Beste daraus zu machen.


RE: beneath northern skies - Veith Alvarsson - 31-03-2025

Veith konnte sehen, wie schwer es Aleena fiel, seine Worte einfach hinzunehmen. Für eine Prinzessin aus dem Frühlingsland musste es befremdlich sein, wie man hier im Norden mit gewissen Konventionen umging. Es war nicht so, dass man selbst einen König ohne seinen Titel ansprach, doch ein Mann wie Veith, ein einfacher Krieger, hatte keinen Rang, auf den er hätte pochen können. Er war weder Lord noch Ritter, weder von Stand noch von besonderem Namen. Andernorts hätten Männer wie er vielleicht einen Ritterschlag erhalten, ein Wappen getragen, ein Lehen verwaltet. Doch in Norsteading bedeutete all das nichts. Hier zählte nicht, was man war, sondern was man tat. Stärke, Loyalität, Mut, das waren die Dinge, die Gewicht hatten. Und ein Name? Der war nur so viel wert wie der Mann, der ihn trug.

Für einen kurzen Moment glaubte Veith, dass die Prinzessin mit ihrer Übereinkunft zufrieden war. Doch es schien sie zu stören, dass sie ihm keine der üblichen Höflichkeiten entgegenbringen konnte, wie sie es bei den Männern am Hofe von Walleydor gewohnt war. Er war gerade im Begriff, sich abzuwenden, als sie hinzufügte, dass auch er sie beim Vornamen nennen dürfe. Zugegeben, bei Leif war es etwas anderes. Ihn in einem privaten Moment oder in der Schenke beim Vornamen zu nennen, war nicht ungewöhnlich. Doch Aleena war Leifs Ehefrau, keine Trinkkumpanin, mit der man sich auf ein Gelage einließ. Vermutlich hätte sie nicht einmal einen Krug des kräftigen Ales hinunterbekommen, das in den Tavernen von Wintergard ausgeschenkt wurde. Und doch, als sie ihn mit diesem zaghaften Lächeln ansah, konnte Veith nicht anders, als es, wenn auch kaum merklich, zu erwidern. Nicht, dass er es jemals zugegeben hätte.
Veiths Blick ruhte einen Moment auf Aleena, ehe er schnaubend den Kopf schüttelte. „Ich fürchte, das wird nicht passieren.“ Seine Stimme war tief und trug diesen rauen Unterton, der ihm eigen war. Er verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete sie mit einer Mischung aus Strenge und Skepsis. „Verzeiht, Prinzessin, im Gegensatz zu Euch trage ich keinen Titel. Doch Ihr… Ihr seid eine Stelhammer. Eine Prinzessin. Ob Ihr das wollt oder nicht.“ Seine Lippen verzogen sich zu etwas, das nun tatsächlich vage an ein Lächeln erinnerte. „Aber gut. Wenn Ihr darauf besteht, dann will ich Euch diesen einen Tag lang entgegenkommen.“ Er trat zur Seite und deutete mit einer einladenden Geste auf den Wehrgang, um ihnen den Vortritt zu gewähren.

Während die beiden Frauen an ihm vorbeischritten, entging Veith nicht der missbilligende Blick der Zofe. Offensichtlich war sie alles andere als einverstanden mit der Übereinkunft, die ihre Herrin mit ihm getroffen hatte. Ein amüsantes Detail, das sein Lächeln nur noch breiter werden ließ, bevor es auch wieder verschwand. Mit gemächlichen Schritten folgte er den beiden durch den schmalen Wehrgang, die Schultern leicht nach vorn geneigt, um unter den niedrigen Balken hindurchzutreten. Immer wieder kamen ihnen Männer entgegen, Wachen des Schlosses, einige mit erhobenem Kinn, andere mit einem knappen Nicken des Grußes. Hier und da ruhte ein forschender Blick auf Aleena, als wunderten sie sich, warum die Prinzessin gerade an diesem Tag hier unterwegs war. Am Ende des Ganges wurden die Geräusche des Marktes lauter. Trotz des trüben Himmels und der feuchten Kälte herrschte geschäftiges Treiben. Der Duft von frischem Brot, gerösteten Nüssen und dem allgegenwärtigen Rauch aus den Feuerstellen mischte sich mit der kühlen Luft. Veith konnte bereits die ersten Stände erkennen, an denen Händler ihre Waren anboten, während Käufer sich eifrig über Preise und Qualitäten stritten. Ein Hauch von Leben, unbeeindruckt vom Wetter, das war Wintergard.


RE: beneath northern skies - Aleena Stelhammer - 06-04-2025

Natürlich. Es war immer das Gleiche. Sie war nie nur Aleena. Sie war nicht mal nur eine Frau. Sie wurde nicht gesehen, nicht wahrgenommen. Man blickte sie eben nicht so an, wie man es bei anderen Frauen tat. Und das hatte nicht ausschließlich damit zu tun, dass sie verheiratet war, immerhin wusste sie - auch, wenn sie sich ehrlicherweise nicht besonders gut mit solchen Etablissements auskannte... - dass es viele Männer und Frauen gab, die einen Ring am Finger nicht abschreckend fanden. Manche sollten es sogar gar anziehend empfinden, wenn es verboten war. Noch nie hatte Aleena den Reiz des Geheimen nachvollziehen können. Vielleicht war es ihrem sowieso eher ängstlichen und vorsichtigem Gemüt geschuldet, doch die Tatsache einen Betrug zu begehen kam ihr so falsch vor, dass sie sich nicht einmal traute darüber nachzudenken. Ihre Ehe war ihr heilig. Vor allem jetzt, nachdem sie endlich Früchte getragen hatte. Obwohl sie seit vier Jahren an der Seite eines Mannes verweilte, der sie genauso wenig sah und registrierte, wie es alle anderen Männer jemals taten, war sie trotzdem eine loyale Ehefrau. Der Gedanke daran, dass es viele Menschen gab, die den heiligen Bund der Ehe nicht so wertschätzten, verursachte ihr beinahe körperliche Schmerzen. Sie wollte und konnte nicht darüber nachdenken, dass es in den vergangenen Jahren durchaus mal Nächte gegeben hatte, in denen sie alleine in einem kalten Bett lag, in denen sie sich einen Mann an die Seite wünschte, der... anders war. Der sie und ihre Eigenheiten liebte.

Doch darüber würde sie jetzt nicht nachdenken. Ihre Ehe war endlich erfolgreich gewesen und würde nun sicher weiter aufblühen (auch, wenn die Abwesenheit von Leif am heutigen Tage sicher kein besonders gutes Omen darstellte). Aleena war optimistisch. Und ausnahmsweise wirklich mal glücklich. Selbst die Tatsache, dass sie mit einem ihr beinahe fremden Mann unterwegs war, weil ihr eigener Ehemann weitaus wichtigere Aufgaben zu tun hatte, konnte ihre gute Laune nicht trüben.
Die Worte, die Veith ihr nun schenkte, rüttelten jedoch weiter an ihrer Maske aus Fröhlichkeit. Es war, als würde das Universum nicht wollen, dass Aleena Stelhammer glücklich war. Als wäre es falsch, das Leben endlich zu genießen. Als hätte sie mit den 'verlorenen' vier Jahren das Recht darauf verloren zufrieden zu sein, weil sie es eben so lange nicht gewesen war. Ein kaum wahrnehmbares Seufzen benetzte ihre dünnen Lippen. Er hatte Recht. Und trotzdem wollte sie diese Worte nicht hören. Sie wollte heute nicht nur die Prinzessin sein, die man mit Samthandschuhen anfasste. Sie wollte eine junge Frau sein, sie wollte Spaß haben, Menschen kennen lernen, Gespräche führen und das echte und authentische Leben Norsteadings erleben. Die Frau das Thronerben eines ganzen Landes zu sein sorgte jedoch dafür, dass genau das nicht der Fall war. Authentisch würde mit ihr niemand umgehen. Gespräche führte man mit ihr auch nur, weil alles andere als absolut unhöflich gewertet werden würde, aber nicht, weil man sich wirklich dafür interessierte. Es waren immer noch die goldenen Käfigstangen, die sich enger um sie zuzogen.

"Ja, ich bestehe darauf", entgegnete sie dann beinahe trotzig und schob das Kinn vor, während sich ihre Zofe leise räusperte. Sie wusste, dass Amanda das nicht gutheißen würde, aber es war ihr egal. "Wisst ihr - manchmal wäre es schön neben einer Prinzessin auch noch eine Frau sein zu dürfen, die das Leben leben möchte", erklärte sie leise und stoppte zwischendurch, wenn fremde Männer an ihnen vorbei liefen und leise grüßten. "Ich werde Euch nicht den Wölfen zum Fraß vorwerfen, wenn ihr mir Eure Meinung sagt und mich beim Vornamen nennt", versicherte sie grinsend und stupste Amanda mit dem Ellenbogen sanft in die Seite. Vermutlich hatte sie ein Auge auf Veith geworfen, so wie sie die junge Frau aus Walleydor einschätzte. Verübeln konnte man es ihr ehrlicherweise nicht, doch ganz angetan war die Prinzessin nicht von der Aussicht, dass Amanda und einer der besten Freunde Leifs miteinander ein Techtelmechtel eingehen würden...

"Wart Ihr schon häufiger hier auf dem Markt?", wendete sie sich an Vieth und blieb mit glänzende blauen Augen am Anfang des Platzes stehen. Erschlagen von den ganzen Gerüchen, Eindrücken und Geräuschen, blinzelte sie perplex gegen das Licht und sog tief die Luft in die Lunge. "Könnt Ihr mir irgendetwas empfehlen?".


RE: beneath northern skies - Veith Alvarsson - 07-04-2025

Natürlich ahnte Veith nicht, was in der Prinzessin vor sich ging. Und tatsächlich hegte er auch kein Interesse daran, sich näher mit ihren Gefühlen auseinanderzusetzen. Doch gleichzeitig konnte er nicht leugnen, dass eine unwillkürliche Regung in ihm aufkam, eine, die durch die Verantwortung für seine drei jüngeren Schwestern sowie die Witwe seines Waffenbruders und dessen Sohn hervorgerufen wurde. So sehr er es auch verdrängen wollte, konnte der Krieger sich nicht entziehen und musste sich schließlich eingestehen, dass die Gemütsverfassung von Leifs Frau ihm keineswegs so gleichgültig war, wie es sein sollte. Veith wagte es nicht, sich anzumaßen, Aleena wirklich zu kennen, auch wenn er selbstverständlich vor vielen Jahren dabei gewesen war, als sie nach Wintergard kam, und sie seither immer wieder einmal von der Ferne aus gesehen hatte. Die nordischen Krieger hatten selten mit den adeligen Damen im Schloss zu tun, es sei denn, man pflegte eine Affäre mit einer von ihnen, doch selbst dann bedeutete es nicht zwangsläufig, dass man die Frau wirklich kennenlernte. Trotz ihrer fehlenden Nähe zu Veith, konnte der Nordmann deutlich erkennen, dass in Aleenas Blick an diesem Tag eine Freude lag, die ihre gesamte Erscheinung strahlen ließ und das wiederum weckte in ihm eine gewisse Hoffnung, denn das bedeutete womöglich, dass die Ehe zwischen ihr und Leif ebenfalls eine positive Veränderung erfahren hatte.

Ihre beinahe trotzige Antwort auf seine Worte quittierte er mit einem belustigten Zucken um die Mundwinkel, das er jedoch versuchte, geschickt zu verbergen, indem er sich in Richtung des Wehrgangs wandte. „Also, wenn es nach mir geht, könnt Ihr heute so viel leben, wie Ihr möchtet, Aleena“, erwiderte er, doch seine Belustigung war mittlerweile verflogen. Es war ihm natürlich nicht entgangen, dass die Zofe diese Unterhaltung offensichtlich nicht sehr schätzte, zumindest kam es ihm so vor, als sie ihn unverhohlen musterte, was ihn in seiner Annahme bestärkte. Am Ende des Wehrgangs angekommen, stieg Veith als Erster die kurze Treppe hinunter. Instinktiv streckte er die Hand aus, um zuerst der Prinzessin und dann ihrer Zofe zu helfen – eine flüchtige Geste, die in den gehobenen Kreisen der anderen Königreiche höchste Achtung und Respekt ausdrückte, doch für gewöhnlich in Norsteading nicht einmal als notwendig erachtet wurde, da dort solche formellen Höflichkeiten oft als überflüssig angesehen wurden.

Er beobachtete zunächst schweigend das geschäftige Treiben zwischen den Marktständen und nahm an, dass die Prinzessin für diesen Ausflug bereits ein Ziel im Kopf hatte. Zwar kam es auch vor, dass die Damen vom Hof hierher kamen, um sich einfach die Zeit zu vertreiben, doch in den meisten Fällen hatten sie bereits eine bestimmte Ware im Sinn, die sie unbedingt erwerben wollten. „Ich war schon als Kind regelmäßig mit meiner Mutter hier“, gestand der Weißhaarige und ließ den Blick zunächst weiterhin über die Menschen schweifen. Dann wandte er sich wieder zur Prinzessin und fuhr fort, wobei er kaum bemerkte, wie die Zofe ihm aus den Augenwinkeln einen Blick zuwarf, der mehr verriet als ein bloßes Lächeln. „Das könnte ich natürlich, wenn ich wüsste, wonach Ihr Ausschau haltet.“ Er deutete in Richtung der nördlichen Schlossmauer. „Da hinten gibt es den besten Honigkuchen weit und breit. Wenn Ihr jedoch an Stoffen, Fellen oder Lederwaren interessiert seid, würde ich Euch eher die Stände dort drüben empfehlen.“


RE: beneath northern skies - Aleena Stelhammer - 15-04-2025

Sie zögerte. Kaum merklich, auch wenn es sich für die junge Frau selbst anfühlte wie eine halbe Ewigkeit. Es war die ausgestreckte Hand, auf der ihr Blick ruhte, während sich ihre Hand langsam in die seine legte. Es war eine Höflichkeit, die Aleena viel zu lang nicht erfahren hatte und gleichzeitig eine, die nicht einmal notwendig gewesen war. Was sicher auch der Grund dafür war, weshalb Leif bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf verzichtete. Und ebenso alle anderen Männer am Hofe. Zumal Aleena selten Unterstützung bei der Bewältigung solcher Hindernisse brauchte. Doch die Aufmerksamkeit, die diese Geste begleitete, so klein und unscheinbar wie sie auch sein mochte, ließ ihren Tag noch ein klein wenig heller erstrahlen. Es war schön, gesehen zu werden. Und in der Tat machte das enge Kleid, das Amanda ihr heute vorgeschlagen hatte, die Treppe zu einer kleinen Herausforderung. Intensiver als eigentlich beabsichtigt musste sie sich an der Hand des Nordmannes festhalten, ehe sie wieder sicher auf beiden Beinen stand und bedankte sich mit einem Nicken. Für einen kurzen Moment wanderten ihre blauen Augen dabei zu den Iriden ihres Wachmannes, als ihr plötzlich auffiel, wie wenig Augenkontakt sie grundsätzlich zu den Menschen am Hof pflegte. In der Regel sahen alle weg, wenn die Prinzessin kam oder befanden sich für die Dauer ihrer Anwesenheit in einer knappen Verbeugung. Sie schenkte ihm ein knappes Lächeln und wendete den Blick wieder ab. Es war ihr zu... intensiv. Sie wollte nicht, dass er bemerkte, wie sehr sie mit solchen Kleinigkeiten zu kämpfen hatte. Also wendete sie ihre Aufmerksamkeit lieber auf die Worte, die noch immer zwischen ihnen hingen. Mit Worten konnte sie deutlich besser umgehen, als mit Gesten.

"So viel leben wie ich möchte? Ihr solltet keine leeren Versprechungen machen, wenn Ihr nicht auch bereit seid sie einzuhalten", grinste die junge Frau und ließ ihren Blick über die Menge am Markt schweifen. Ehrlicherweise wusste sie nicht einmal wie das geht. Zu leben. Sie kannte nur das Leben am Hof, kannte nur den engen Terminplan, den eine Prinzessin dann und wann abarbeiten musste. Von der Teestunde mit der Familie bis hin zur abendlichen Reinigung mit ihrer Zofe, die selbstverständlich darauf abzielte die Frau für eine gemeinsame Nacht mit ihrem Ehemann herzurichten. Für das Leben war dazwischen einfach keinen Platz. Daher war es zwar eine amüsante Vorstellung, wie Aleena mal so richtig den Metkrug auf den Tisch haute, doch es könnte kaum der Realität ferner sein. Leider.

"Honigkuchen klingt fantastisch", entgegnete sie beinahe ein wenig zu überschwänglich und hielt sich unbewusst mit der Hand den nicht vorhandenen Bauch. Die Prinzessin war es gar nicht so gewohnt so einen Hunger zu haben, doch seit einigen Wochen konnte sie mindestens das doppelte ihrer normalen Portionen verdrücken. "Bitte, zeigt mir den atemberaubenden Kuchen. An Fellen und Leder bin ich nicht wirklich interessiert", fügte sie hinzu und zuckte mit den Achseln, ehe sie voller Übermut ein paar Schritte voraus ging. Sie bemerkte nicht, wie Amanda beinahe beschützend die Hand nach ihr ausstreckte, weil diese wie immer hinter ihr lief, musste jedoch selbst feststellen, dass ihr die Position ganz vorne nicht behagte. Die ersten Blicke der Menschen trafen sie wie Pfeile in der Brust und das Gemurmel, das damit einherging, machte ihr Angst.


RE: beneath northern skies - Veith Alvarsson - 16-04-2025

Natürlich entging ihm ihr Zögern nicht. Für einen flüchtigen Moment beschlich ihn der Gedanke, dass die Prinzessin ihn womöglich nicht als einen Mann betrachtete, dem es zustünde, ihr die Hand zu reichen. Sie stammte aus Walleydor, einem Land, in dem die Grenzen zwischen den Ständen weit schärfer gezogen waren als hier im Norden. Dort wäre es ihm bei Weitem nicht erlaubt gewesen, die Prinzessin in irgendeiner Form zu berühren. In Norsteading hingegen nahm man es mit solchen Standesgrenzen längst nicht so genau. Hier mischte sich selbst die königliche Familie gern unter das Volk und niemand wunderte sich, wenn man den jungen Prinzen mit seinen Freunden in der nächstbesten Taverne antraf, um dort einen Krug Met zu leeren. Ob es nun ihrem inneren Widerstreben entsprang oder schlicht der Tatsache, dass ihr solche Gesten längst fremd geworden waren, letzten Endes legte die junge Prinzessin ihre Hand dann doch in die seine und setzte ihren Weg die verbleibenden Stufen hinab fort. Sie nickte ihm zum Dank zu, senkte jedoch sogleich den Blick. Veith war sich seiner Angewohnheit bewusst, andere unverhohlen zu mustern. Er tat es nicht aus Unhöflichkeit, sondern weil er seine Umgebung stets mit wachsamer Genauigkeit erfasste. Dabei wirkte er oft verschlossen, ja sogar grimmig. In Wintergard war man diesen Ausdruck bereits gewohnt. Für eine fremdländische Prinzessin hingegen musste sein Anblick beinahe einschüchternd sein. Etwas ganz anderes bewirkte dieser Blick hingegen bei ihrer Zofe. Sie begegnete ihm mit einem Lächeln, das ihn überraschte, denn es war freundlich, fast schon herausfordernd und als sie ihm die Hand reichte, hielt sie sie ein wenig länger fest, als es der Moment eigentlich verlangte.

Er folgte den beiden Frauen mit einem Schritt Abstand, als Aleena das Gespräch erneut aufnahm. „Für gewöhnlich stehe ich zu meinem Wort“, entgegnete Veith ruhig, während sein Blick über den geschäftigen Markt schweifte. Sie kannte ihn nicht und konnte daher nicht wissen, dass ein gegebenes Versprechen für ihn Gewicht hatte. Doch er war nicht hier, um sich der Prinzessin zu beweisen. Ihr Alltag war so anders, als der seinige, weshalb er davon ausging, dass die junge Frau durchaus andere Vorstellungen vom Leben hegte, als er selbst. Dennoch war er nun an ihrer Seite. Nicht ihretwegen, sondern weil er einem Freund einen Dienst erwies. Leif hatte ihn gebeten, auf seine Frau achtzugeben und ihr beizustehen, wenn sie Hilfe benötigte, um sich ein weiteres Mal mit den Sitten und Eigenheiten dieses Landes vertraut zu machen. Denn obwohl Aleena bereits seit vier Jahren in Norsteading lebte, wirkte sie noch immer wie eine Fremde in einer Welt, die ihr nie ganz vertraut geworden war.
Abwartend blickte er sie an, auch wenn er wusste, dass es sie womöglich nervös machte. Doch Aleenas Vorfreude auf den besagten Honigkuchen zauberte ein freudiges Lächeln auf ihre Züge, als sie mutig einige Schritte in Richtung Marktstände machte. Es dauerte jedoch nicht lange, bis sich ihre anfängliche Entschlossenheit in Zögern verwandelte. Die Menge hatte die kleine Gruppe längst bemerkt und da man Veith hier kannte, galt die Aufmerksamkeit nun umso mehr der fremden Prinzessin und ihrer Zofe. Mit wenigen schnellen Schritten holte Veith zu ihnen auf und stellte sich an Aleenas Seite. „Lasst mich Euch den Weg weisen“, sagte er knapp, ehe er vorausging.

Der Stand mit dem Honigkuchen und anderen süßen Verlockungen war rasch gefunden. Dieser war eine einfache, aber robuste Konstruktion aus dunklem Holz, an den Ecken mit Tüchern verhängt, die den eisigen Wind nur notdürftig abwehrten. Auf grob gehobelten Brettern lagen die Honigkuchen gestapelt, dick und saftig, mit glasierten Oberflächen, die im Morgenlicht matt glänzten. Einige waren mit gerösteten Nüssen verziert, andere mit einer dünnen Schicht Zuckerguss überzogen, der vom feinen Schneestaub leicht bestäubt war. „Zwei Honigkuchen für die Damen“, wandte sich Veith an den Verkäufer, ein gedrungener Mann mit wettergegerbtem Gesicht und rotgefrorener Nase, der jedoch ehrlich erfreut über den Besuch der Prinzessin wirkte. „Ihr habt Glück, die sind frisch aus dem Ofen... na ja, vor einer Stunde. Warm sind sie sogar noch!“ Der Verkäufer griff geschickt nach der Münze, die Veith ihm über den Tisch reichte und legte den Honigkuchen mit einem Lächeln auf die Theke. Amanda hatte die ganze Szene mit wachsamem Interesse verfolgt. Sie ließ ihren Blick von Veith zu dem Verkäufer gleiten, doch als ihre Augen wieder zu ihm zurückkehrten, war ein Funkeln darin, das mehr als nur Neugier verriet. „Ihr wollt gar keinen Kuchen?“ fragte sie, ihre Stimme weich und freundlich. Sie reichte Aleena einen Honigkuchen und griff dann nach dem zweiten Stück. Veith antwortete mit einem abfälligen Schnauben, seine Miene unverändert grimmig. „Ich mache mir nichts aus Süßem“, brummte er bloß. Doch während er sprach, war ihm ihr Blick nicht entgangen. Sie hatte ihn nicht aus den Augen gelassen. Es waren nicht die üblichen, flüchtigen Blicke, die er von anderen gewohnt war, sondern mit einer spürbaren Aufmerksamkeit, die mehr sagte als Worte. „Wie schade“, flötete Amanda und ihre Stimme war von einer feinen, unaufdringlichen Verführung durchzogen, die zu der winterlichen Kälte im Moment gar nicht zu passen schien. Langsam, beinahe nachlässig, ließ Veith seinen Blick über sie gleiten. Zuerst streifte er ihre feinen Gesichtszüge, doch dann glitt er weiter hinab zu ihrem Körper. Ihre Haltung war aufrecht, das Kinn leicht erhoben, als war sie sich ihrer eigenen Wirkung ziemlich sicher. Für einen Moment verharrte sein Blick auf der Zofe, dann wandte er sich wieder Aleena zu und fragte, als ob nichts gewesen wäre: „Wie schmeckt Euch der Kuchen?“ Sein Ton blieb unverändert kühl und unberührt.


RE: beneath northern skies - Aleena Stelhammer - 20-04-2025

Schatten waren das, was ihr Leben am ehesten überzog. Nicht, weil sie jemals Pech gehabt hätte, oder weil sie eine unangenehme Dunkelheit umgab, sondern deswegen, weil sie es nie schaffte das Licht in einem Raum zu sein, in dem es zuvor noch viel zu dunkel war. Es waren andere Menschen, die diese Fähigkeiten hatten. Andere Menschen, denen es gelang andere zu erweichen. Andere Herzen zu berühren. Und gleichermaßen Aleena in ihren Schatten zu stellen - auch, wenn sie das gar nicht beabsichtigten. Amanda war so eine junge Frau. Obwohl sie schon seit Kindestagen an befreundet waren und Aleena ihr ihr Leben anvertrauen würde, spürte sie doch wie so oft das unangenehme Ziehen in ihrem Magen, wenn sie wieder einmal neben ihrer Freundin und Vertrauten unterging. Das Strahlen, das von der jungen Frau ausging, überdeckte die Schönheit Aleenas vollkommen. Denn außer eine hübsche Erscheinung hatte die Kronprinzessin kaum etwas zu bieten. Über ihren Humor konnte man hier nicht lachen, das Wissen über die unterschiedlichen Rosenarten und ihre Besonderheiten nahm man hier nicht ernst und die Kleider, in denen sie zu Hause alle Augen auf sich gezogen hatte, sorgten hier nur für geheime gerollte Augen. Sie war keine Winterländerin und es verging kein Tag, an dem ihr dies nicht allzu schmerzvoll bewusst wurde. So wie in diesem Moment. Amanda, ihre Zofe, hatte nicht nur Veith und ihren Bann gezogen, sondern den Verkäufer des Kuchenstandes gleich mit. Während sie ein kurzes Gespräch mit ihrem Begleiter führte, konnte die Stelhammer die hungrigen Augen des Mannes sehen, der einen Moment zu lange an dem glänzenden Kuchen hängen blieb, der nun die Lippen ihrer Zofe berührten.

"Ihr macht Euch nichts aus Süßem?", fragte Aleena nun ließ ihren Blick erst von dem Verkäufer, dann zu Amanda und schließlich zu Veith wandern. In ihren Worten war die Überraschung unschwer heraus zu hören und sie schüttelte beinahe tadelnd den Kopf. Es war, als wäre sie mit ihrem Mann unterwegs. Und auch, wenn es eigentlich genau das war, was sie wollte - nämlich Zeit mit Leif zu verbringen, hoffend, dass sich zwischen ihnen nun endlich etwas ändern würde - spürte sie insgeheim, dass nun sie diejenige war, die am liebsten mit den Augen gerollt hätte. Sie hatte keine Lust mehr auf diese Männer, die sich nur etwas aus ihren Waffen und aus Met machten. Die keine Freude in den kleinen Dingen erkannten, die keine Blumen zu schätzen wussten, die auch dann noch das gleiche Leinenhemd anzogen, wenn eigentlich schon drei Flecken zu viel drauf waren. Die Menschen, insbesondere die Männer, hier waren ihr einfach zu... speziell. Sie konnte diese merkwürdige Art auch nach vier Jahren immer noch nicht verstehen. Und trotzdem wünschte sie sich kaum etwas sehnlicher, als dass es ihrem Kind anders ergehen würde, als ihr. Zwar würde sie ihm von den saftigen grünen Feldern aus ihrer Heimat erzählen, doch sie (und Leif) würde dafür sorgen, dass er ein waschechter Winterländer wurde. Er sollte nicht denselben inneren Konflikt erleben müssen, wie es Aleena Tag für Tag tat.

"Wenn es kein Kuchen ist, der Euch das Leben versüßt, was ist es dann?", fragte sie überraschend neugierig und biss eine kleine Ecke vom wohl leckersten Honigkuchen des Landes ab. "Habt ihr die selber gebacken?", fragte sie, nachdem sie - so, wie es sich gehörte - den Bissen herunter geschluckt hatte, den Verkäufer und drehte sich zu ihm um. Dieser musste schnell seinen Blick von ihrer Zofe abwenden, ehe er mit vor Stolz geschwellter Brust antwortete. Aleena plante, diesen Mann im Palast einstellen zu lassen. Sie konnte jetzt schon spüren, dass dieses Stück Kuchen in ihrer Hand nicht das letzte Stückchen in der Schwangerschaft gewesen sein wird. "Meint Ihr wir finden hier irgendwo Traubensaft?", fragte sie vorsichtig an ihren Begleiter gewandt und erwartete fast, dass er ihr etwas von den Vorzügen des leckeren Mets erzählen würde...