![]() |
The Wheel of Time - Druckversion +- Facing the Storm (https://facingthestorm.de) +-- Forum: Die Geschehnisse in unserer Welt (https://facingthestorm.de/forumdisplay.php?fid=23) +--- Forum: Matariyya - Das Sommerland (https://facingthestorm.de/forumdisplay.php?fid=29) +---- Forum: Plot: Krönungszeremonie von Samir Al-Mazhir (https://facingthestorm.de/forumdisplay.php?fid=116) +---- Thema: The Wheel of Time (/showthread.php?tid=800) |
The Wheel of Time - Keeran Neshat - 23-08-2025 To heal a wound
Stop touching it
![]() Nicht so, wie Nadir ben Sahid alles verloren hatte. Weil er von Geburt an bereits alles gehabt hatte, was er im Laufe der Zeit würde verlieren können. Familie? Er hatte viele gehabt, von einem älteren Bruder bis hin zu einer Frau, Kindern, Neffen und Nichten, die ihm alle viel bedeuteten und jetzt das Herz brachen, wo er sie beerdigen musste. Sein erster Fehler. Freunde? Am Hof war er bekannt wie ein bunter Hund, außer Lande kannte man seinen Ruf und Namen. All das half ihm nicht in seiner Situation. Sein zweiter Fehler. Titel? Was war ein Prinz, der nicht regieren konnte. Was war ein Diplomat, der den Palast nicht verlassen durfte. Was war ein Krieger, dem alle Waffen genommen wurden; selbst die Fähigkeit, zu sprechen. Für jemanden wie Keeran vermittelte Nadir in seiner Situation ein klares Bild - eins von Menschlichkeit und deren Fehlen, sich aus der Starre von Schicksalsschlägen zu lösen, während die Zeit weiterlief. Oft hatte der Händler die Ohnmacht in seinem Umfeld erlebt und beobachtet, wenn Menschen verloren und sich nicht mehr zu helfen wussten. Immer von außen hatte er ihren Zerfall körperlicher und spiritueller Natur gesehen und sich gefragt: Warum? Wenn man den Lauf der Zeit nicht stoppen konnte, warum hielt man sich an ihr fest wie an einer Säule, während der Strom früher oder später jedes Konstrukt mit sich reißen würde? Vielleicht war es seine Losgelöstheit vom Mensch-sein, die ihn so weit gebracht hatte, vielleicht würde sie es auch sein, die seiner Leere schließlich den Halt geben würde, um sich an seinen Fersen hochzuziehen. Irgendwann hatte alles ein Ende; das wusste vor allem er, der sich immer mit der Zeit bewegte. Heute besuchte er als Berater des noch nicht gekrönten Königs die Gemächer des Prinzen, der (mehr oder weniger) freiwillig auf seinen Thronanspruch verzichtet hatte. Er trat von seiner Freiheit, die er sich erarbeitet hatte, hinein in geschlossene, überwachte Räume, in denen die Luft gedrückt und schwer war. Nicht einmal seinen Gehstock führte er mit sich, als hätte die große Mutter ihn für den heutigen Tag zehn Jahre jünger gemacht. Bevor er sich durch ein Klopfen bei Nadir ankündigte, ließ er sich von den beiden Wachen vor der Tür auf Waffen und sonstige Mittel abklopfen, die im Beisein des Prinzen verboten war; nicht weil sie ihm gefährlich werden konnten, sondern weil er mit ihnen gefährlich werden konnte. Keeran wusste das. Er hatte mitunter angeordnet, dass man Nadir so akribisch unter Beobachtung stellte, und doch glaubte jeder im Palast, dass er nur ein rücksichtsloser Händler war, der sich durch Einfluss, Gold und Leichen einen Platz im königlichen Beraterstab gesichert hatte. Jemand, der sich den Tod von Ridvan zunutze machte, aber nicht sein Ursprung war. Die Welt war ein brutaler Ort ohne Platz für die Mitfühlenden, und Keeran trug diese Weisheit auf dem Gesicht, als er eintrat. Nadir und er pflegten eine einfache Beziehung zueinander. Die Aufgeschlossenheit des Prinzen hatte es überhaupt möglich gemacht, dass sie ins Gespräch gekommen waren, und (im Gegensatz zu seiner Frau) folgten auf seine Versprechen tatsächlich Taten, oder auch einfach gutes, reines Opium, was er bei ihrem ersten Treffen im Bordell so angemängelt hatte. Die Beziehung war deswegen einfach, weil sie einander für das zu akzeptieren schienen, was sie waren, oder auch einfach nicht weiter nachfragten. Nadir wusste, dass Keeran sich seinen gesamten Einfluss erarbeitet hatte und dabei sicher nicht immer mit sauberen Händen in sein Heim zurückkehrte. Keeran hingegen wusste um die hedonistischen Veranlagungen des Prinzen, die nicht selten Priorität über seine Pflichten verlangten, und stellte sie nie in Frage. Mit einer Pfeife in ihrer Mitte regten sie einander hin und wieder zu geistreichen Gesprächen an und bereicherten ihre Ansichten mit unterschiedlichen Weltanschauungen. Der Händler konnte aufrichtig behaupten, dass er im Beisein von Nadir eine Art geistige Stimulierung fand, wenn die Luft schwer, seine Sinne betäubt und der Kopf zugänglich war. Als einfacher Händler, der er sicher war, fiel ihm natürlich auf, dass Nadir nicht alleine war. Im Raum standen zwei weitere Wachen, der Schal des Turbans halb ihre Gesichter am verdecken, während ihre Augen doch an ihm und seinem raschelnden, festlichen Gewand klebten. In einen dunklen, mit golden schimmernden Fäden durchzogenen Mantel gekleidet blieb er in der Mitte des Raumes stehen, die verzierte Schachtel unter seinem Arm, und deutete eine Verbeugung an. “Prinz Nadir. Mein aufrichtiges Beileid” , begrüßte er ihn mit höflicher Distanz, ließ die letzten Worte aber den Raum füllen. Man konnte von Keeran nicht behaupten, dass er viel Empathie an den Tag legte, doch sicher wusste er, was er der Form und Gepflogenheiten wegen zu sagen hatte. Tatsächlich bezweifelte er, dass Nadir überhaupt mehr dergleichen aus seinem Mund hören wollte; jene falsche Anteilnahme hatte man ihm in den letzten Tagen zu Haufe vor die Füße geworfen und gehofft, sich damit bei ihm in ein gutes Licht zu stellen. Viele hatten ihn vermutlich erst gar nicht angesprochen, weil er doch ständig in Begleitung war - und die Palastwände redeten. Es hatte einen Grund, warum er nur mit Wachen aus seinen Gemächern schritt, auch wenn niemand es wagte, ihn auszusprechen. |