Hart ist das Wort, das Männer gebrauchen, wenn sie von Eanruig sprechen und hart ist er. Seine Gestalt erscheint wie ein Fels, wenn er am Rande der Klippen von Kenmara steht und seinen Blick in die tosenden Wellen unter sich richtet oder dorthin, wo der Horizont vom Meer verschlungen wird. Der Herr über Kenmara und diejenigen, die unter seinem Schutz stehen, die ihm Schild und Schwert und Leben geschworen haben, ist kein einfacher Mann, kein gesprächiger oder sanftmütiger. Er ist ein Mann, der vom Leben geformt wurde, von Schicksalsschlägen und der den Taten die Worte vorzieht. Ein Mann, der vielleicht mehr Krieger als Diplomat ist und der in der Familie seinen Frieden findet und im tosenden Meer, das an Kenmaras Klippen schlägt und alles zu verschlingen scheint. Seit 52 Jahren nennt er Kenmara seine Heimat und auch wenn es nicht vorgesehen war, so ist er vor wenigen Jahren erneut Vater eines Sohnes geworden. Ein Sohn das ihm seine zweite Frau schenkte, die er, getrieben von Pflicht und Schuld, heiratete und die ihn vielleicht glücklicher machen kann als jede andere. Dann wenn er über sein Pflichtbewusstsein hinaus das Leben nicht vergisst und das Glück das darin zu finden ist.

Dieser schweigsame und unnahbar wirkende Mann trägt den Namen Ekene Harun. Sein ganzes Leben verbrachte damit sich die Finger schmutzig zu machen. Etwas anderes kennt der 25 Jährige nicht. Ausgebildet für den Kampf ist er jetzt allerdings für die sommerländische Prinzessin zuständig. Als ihr Leibwächter ist eine sehe Pflicht auf sie Acht zu geben. Nun ja. Seine Lust hält sich in Grenzen da er lieber kämpfen möchte, aber immerhin bekommt er gutes Geld dafür. Schon seit einiger Zeit hat er ein Auge auf seine Freundin Imani Silk geworfen und weiß mit seiner Verliebtheit nicht wirklich umzugehen. Wundern sollte es niemanden, denn er war nur ein einfacher Mann aus Yalewdal der zu einem Mitglied der Königsgarde aufgestiegen ist. Der ganzen politischen Lage steht er kritisch gegenüber und möchte Veränderung in der sommerländischen Regierung, worüber er aber schweigt.

Seine lose Zunge ist ebenso bekannt wie gefürchtet. Kein Festmahl, kein Turnier vergeht, ohne dass er mit einer spitzen Bemerkung oder einem frechen Flirt die allgemeine Aufmerksamkeit – oder die Fäuste mancher Ehemänner oder Brüder - auf sich zieht. Es ist ein Spiel für ihn, ein amüsantes Ränkespiel, das er mit einer Verwegenheit betreibt, die ihn selbst in den gefährlichsten Momenten nie die Fassung verlieren lässt. Doch hinter der scharfsinnigen Zunge verbirgt sich eine Ehrlichkeit, die ebenso erfrischend wie schmerzlich sein kann. Er sagt, was er denkt, ohne sich um Konventionen zu scheren, und das ist sowohl ein Fluch als auch ein Segen.
Er lacht über solche Dinge, wie er über fast alles lacht: leicht, charmant und mit einer ansteckenden Unbeschwertheit, die niemanden in seiner Nähe kalt lässt. Aber auch in der Hitze des Gefechts, wenn die Axt in seiner Hand brennt und der Staub des Kampfes die Luft erfüllt, ist er ein guter Kämpfer – ein Mann, der in den entscheidenden Momenten ebenso präzise zuschlägt wie sein unverschämtes Mundwerk.
Manche nannten ihn bereits ein wandelndes Ärgernis, andere einen begabten Verführer, doch in Wahrheit ist er beides – und noch viel mehr. Doch nicht einmal seine freche Art oder seine charmanten Avancen können darüber hinwegtäuschen, dass er seine frisch angetraute Frau vergöttert. In ihren Augen findet er mehr, als er je in goldenen Hallen oder in den wärmenden Schößen fremder Frauen finden könnte. Diese Liebe ist das einzige, was er nicht für einen flüchtigen Spaß hält.

Zu der Familie seiner Frau führt er ein besonderes Verhältnis. Sein Waffenbruder ist niemand Geringeres als der Thronfolger, sein größter Respekt gilt dem König und während er sich in Friggas Gesellschaft tatsächlich zu benehmen weiß, haben auch alle anderen Kinder von Frigga und Ariald Stelhammer, einen Platz in seinem Herzen. In ihrer Gesellschaft – und in der seiner eigenen Familie – zeigt sich ein ganz anderer Erik. Ein sanfter, aufopferungsvoller Mann, der mit bedingungsloser Hingabe für das Wohl dieser Menschen lebt. Er würde alles für sie tun, ohne einen Moment zu zögern, sei es mit Worten, Taten oder seinem Leben.

Wenn man im Dorf von Eydís spricht, tut man es leise. Nicht aus Respekt – sondern weil man nie weiß, ob sie vielleicht ganz in der Nähe auf die nächste Geburt wartet. Sie ist keine Frau, deren Name auf den Lippen liegt, wenn man über Einfluss spricht, keine, an deren Tür man um Rat fragt. Doch wenn ein Kind nicht kommt, wenn das ungeborene Leben oder das der Mutter auf Messers Schneide steht, ruft man sie. Und sie kommt. Immer. Eydís Vigdal war nie von Bedeutung – nicht als Tochter, nicht als Ehefrau, nicht als Mitglied der Gesellschaft. Sie lebt am Rand, schweigend, unauffällig. Und doch weiß jeder, wer sie ist. Die Hebamme. Die mit dem Blick, der durch einen hindurchgeht. Die mit den Händen, die Leben bringen – und selbst nie gehalten wurden. Die, deren Ehemann zu viel trinkt, zu laut wird, zu oft verschwindet. Und die trotzdem bleibt. Für ihre Kinder. Für das, was noch von ihr übrig ist. Man erzählt sich, sie sei einst schön gewesen. Eine Kriegerstochter, eine, die lachte, ritt, sang. Doch das ist lange her. Heute trägt sie grobes Leinen und ernste Miene. Ihre Augen sind grau, beinahe farblos – außer, wenn sie ein Neugeborenes anschaut. Dann flammt etwas auf. Ganz kurz. Dann ist da Wärme. Wer genau hinsieht, bemerkt den Anhänger an ihrem Hals – verborgen unter Stoffen und Fellen. Ein alter Knoten aus Eisen. Ein Geschenk. Von ihm, dem, über den sie nie spricht. Dem, der nicht zurückkam. Nur sie weiß, was sie in jener Nacht verlor, was sie in den Bergen suchte, was sie in der Stille der Einöde zerbrach. Und was nie ganz aufhörte, in ihr zu brennen. Heute lebt sie wie der Nebel über den Feldern: leise, unbeachtet, überall. Sie singt, wenn sie denkt, dass niemand zuhört. Ihr Leben ist kein Lied, kein Ruhm, kein Aufbegehren. Aber es ist echt. Und getragen von einer Kraft, die nicht lärmt, sondern trägt. Eine Kraft, die sich nicht mit Worten rühmt – sondern in jeder Tat, jedem Schritt, jeder Geburt weiterlebt. Und manchmal, wenn der Wind aus Nordosten weht und Sicht klar ist, sieht man sie am Waldrand stehen. Den Blick weit, den Anhänger fest umschlossen. Als würde sie auf jemanden warten. Oder auf etwas, das endlich zurückkehrt.