08-07-2024, 13:14 - Wörter:

Und da ihr jene Verzweiflung so gar nicht stand, münzte sie diese leidenschaftlich um in eine unterirdische Laune. »Solltest du mich an der Nase herumführen, Bursche, dann kümmere ich mich im Anschluss um deine. Das ist ein Versprechen«, zischte sie dem schmächtigen Jungen in zerlumptem Kaftan zu, der sie durch die verschlungenen Gassen des Viertels führte, dessen Namen sie nicht wusste. Flink wie ein Wiesel war er auf seinen dürren Beinchen, das musste sie ihm lassen. Und der ängstliche Gesichtsausdruck, mit dem er bei ihren Worten nur kurz über seine Schulter linste, dämpfte ihren Unmut über den schweißtreibenden Fußmarsch ein wenig. ›Sind gleich da, glaubt mir, sayyidati‹, kam es kleinlaut aus dem Munde des Kindes. Schlagartig wurde ihre Miene weicher und tatsächlich schlich sich sogar ein winziges Schmunzeln auf die ausgedörrten Lippen der Söldnerin, verborgen durch den abgenutzten Tuchstoff, der Mund und Nase notdürftig vor dem vermaledeiten Staub schützte. Doch anstatt ihrem kleinen Führer mit ein paar beruhigenden Worten die Angst zu nehmen, entkam ihr lediglich ein geknurrtes »Los jetzt!«. Längst hatte sie die Orientierung verloren und hoffte inständig, dass sie aus diesem Loch irgendwo inmitten der Hauptstadt Martariyyas auch allein wieder hinausfinden würde. Sie besaß keinen allzu schlechten Orientierungssinn, doch dieses Land forderte sie. Auf allen erdenklichen Ebenen.
Gerade noch konnte sie verhindern, dass schwerer, rauer Webstoff ihr ins Gesicht schlug, als der Junge nun von einer Gasse in einen sorgsam verborgenen Bogengang einbog. Dieser war so schmal, dass die lederne Scheide ihres Schwerts vernehmlich am bröckelnden Putz entlang streifte. Sie richtete ihren Waffengürtel und fluchte unterdrückt, doch als schließlich gleißender Mondschein die trüben Schatten der Gassen ablöste, blieb der Junge inmitten eines begrünten Innenhofs stehen und Tyra gelang es, kurz durchzuatmen. Als sie ihn gerade erneut zur Eile antreiben wollte, war dieser jedoch wie vom Erdboden verschluckt. »Bei Heofaders haarigen Eiern«, fauchte die Winterländerin und riss sich entnervt das Tuch vom Kopf, ihre rechte Hand umschloss den Knauf ihres Schwerts, während ihr Blick hektisch die Umgebung auslotete. Als sich schließlich eine hünenhafte Gestalt aus den scharf gemalten Schatten des Gartens schälte, erklang das beruhigende Geräusch von Metall auf Leder, als sie ihre Klinge zog und sich breitbeinig positionierte, das Kinn angriffslustig gereckt, den Blick klar und wachsam auf die Gefahr vor ihr gerichtet.
Erst der vertraute, raue Bariton ihres sommerländischen Kontakts ließ sie ihre Kampfposition aufgeben, auch wenn die Wachsamkeit blieb, ebenso wie das gezogene Kurzschwert, das locker gen Boden zeigend, aber durchaus präsent an ihrer Seite das Mondlicht reflektierte. »Du kannst froh sein, dass deine hinreißende Braut dich nicht an Ort und Stelle entmannt hat«, erwiderte sie und kam nicht umhin, ebenfalls eine deutliche Spur Humor mitschwingen zu lassen. »Hölle. Das ist der richtige Begriff für Orte wie diesen.« Sie machte eine ausladende Bewegung mit ihrer Klinge, bis sie diese auf die kleine Kuhle unterhalb seiner Kehle richtete. »Begrüßt man so neuerdings seine alten Freunde? Steht es tatsächlich so schlimm um Martariyya, dass wir uns wie das wertlose Gesindel, das wir sind, verstecken müssen? Es gab Zeiten, da hast du mich mit offenen Armen in Abu Kabir empfangen.« Die letzten Worte, neckend formuliert, wurden begleitet von einem wissenden Lächeln Tyras, die mittlerweile ihre Klinge verstaut hatte und nun mit theatralisch ausgebreiteten Armen vor dem Schlächter von Dharan al-Bahr stand.
