14-09-2024, 23:00 - Wörter:
My mind's a place I can′t escape your ghost
Sometimes I wish that I could see you one more day One more rainy day
Auch wenn sie hinter Straßenecke gestanden und die Menschen entfernt auf dem großen Platz nur schemenhaft hatte wahrnehmen können, hatte ihre Anwesenheit gereicht, um die Atmosphäre unter den Menschen erspüren zu können. Viele Fragezeichen, viel Getuschel und viel Unverständnis zierte die Gesichter dieser und Elaine hatte den Blick durch die Menschenmassen gleiten lassen, die der Hinrichtung beigewohnt hatten. Vielleicht war ihr das Schicksal in den letzten Tagen wohl gesonnen gewesen, vielleicht war sie aber auch einfach aufmerksam genug gewesen, um erfolgreich jenen, die sie hätten zuordnen können, aus dem Weg gegangen zu sein. Es hatte keinerlei derartige Zwischenfälle gegeben, während Elaine sich an junge Soldaten gehalten hatte, die ihr Gesicht mit Sicherheit nicht kannten. Ein Raunen war durch die Menge gegangen, doch ihr Blick hatte ausschließlich einem Hinterkopf an der Seite des frühlingsländischen Königs gegolten. Vielleicht hatte sie ihn an seiner Körperhaltung oder den wilden Locken erkannt, Fakt war, dass er für sie aus jeder Menge herausstechen würde. Auch wenn er an der anderen Seite des Platzes stand und in eine andere Richtung blickte. Das laute Geräusch, das vom Holz beim Schafrichter auszugehen schien, ließ die Menschen zischen, schreien und entsetzt grölen. Godwyn schien den Kopf zu senken und leicht zu schütteln – auch von weit weg und den Blick auf seine Rückseite gerichtet hatte sie deutlich sehen können, dass er kein Freund der Hinrichtung Trakas war. Ob er ihrer Hinrichtung auch derart demütig beigewohnt hätte?Der restliche Tag war anstrengend gewesen. In der ganzen Stadt war es zu Tumulten gekommen, in Tavernen waren Schlägereien ausgebrochen und auf den Straßen waren frühlingsländische Soldaten angespuckt worden. Den Einwohnern konnte man diese Gefühlsregungen wohl kaum verübeln. Voller Hingabe hatte Elaine das Blut von ein paar Platzwunden weg-getupft und einem sehr jungen Soldaten anschließend etwas Trost gespendet, weil dieser seine Eltern so sehr vermisste. Wie weit war sie eigentlich gesunken? Es war schon dunkel, als sie den jungen Mann endlich davon überzeugen konnte, sich hinzulegen und sich auszuruhen, um morgen weiter Unruhen schlichten zu können.
Auf der Straße nahm sie einen tiefen Atemzug und schloss kurz die Auge, um sich die frische Luft um die Nase wehen zu lassen. Das angetrocknete Blut an ihren Händen wurde am Rock abgewischt – wirkte sowieso viel authentischer – und ihr Blick fiel auf den Taverneneingang gegenüber. Vermutlich fiel ihr dieser ins Auge, weil sich die Tür gerade öffnete und einen kleinen, hellen Strahl an Licht auf die Straße entließ. Automatisch wich sie etwas in die schützende Dunkelheit eines Seiteneingangs zurück und erkannte parallel, dass das Schicksal nun wohl genug von ihrem Versteckspiel zu haben schien.
So wie sie ihn vorhin unter hunderten Menschen erkannt hatte, würde sie ihn auch in vollster Dunkelheit unterscheiden können. Es war nicht in Ordnung, dass sich irgendeine Art Kloß in ihrem Hals zu formen begann, doch sie schaffte es, diesen herunterzuschlucken. Godwyn schlug die erste Seitengasse ein und vielleicht hätte sie sich umdrehen und in die andere Richtung verschwinden sollen. Doch natürlich trieb sie alles dorthin. Leise Schritte folgten Godwyn bis sie eine sichere Distanz zur Taverne hinter sich gebracht hatten und eine der Nebengassen äußerst verlassen aussah. Kein Blick auf die Hauptstraße, keine Hauseingänge und ein Geruch, als würde diese Straße eher als Latrine dienen. Perfekt also für die schäbige Vergangenheit, die sie beide teilten. Elaine ließ ihre Schritte langsam absichtlich etwas lauter werden und blieb irgendwann stehen. Sie wusste, dass er sich fragend umdrehen würde. Für eine Millisekunde überlegte sie, doch in der Dunkelheit zu verschwinden und sich wieder einzureden, dass sie diesen Teil ihrer Vergangenheit hinter sich lassen würde. Doch statt sich umzudrehen, griff sie an das Tuch, das einen Teil ihres Gesichts bedeckte, und zog es nach unten, um es dem armen Ritter nicht noch schwerer zu machen.
Sie konnte nicht blinzeln, nicht atmen und nicht schlucken, aber vielleicht musste sie das gar nicht. Vielleicht musste sie ihn nur mit einer Mischung aus Trauer, Verzweiflung und Wut ansehen. Es war doch vollkommen egal, wie diese Sache ausgehen würde. Sollte er sie erneut verhaften lassen, würde sie ihn dazu zwingen, endlich zu Ende zu bringen, was er angefangen hatte. Sie war dem Tod und dem Verderben oft genug von der Schippe gesprungen und vielleicht war die Begegnung mit Godwyn in einer räudigen Gasse nun das letzte Gericht. In der Dunkelheit sah er mitgenommen aus und wahrscheinlich sollte sie etwas sagen. Nun konnte sie doch schlucken und einmal blinzeln, ehe sie ihr Kinn hob, um mit Stolz zu antworten, obwohl er es war, der ihr all ihre Würde genommen hatte. „Fast romantisch, nicht wahr?“ Sie hatte zynisch klingen wollen, doch sie konnte das Zittern in ihrer eigenen Stimme nicht unterdrücken. Was sie hier von ihm wollte? Niemals hätte sie diese Frage sinnvoll beantworten können. Sie nickte Richtung Westen. „Nicht weit von hier habe ich vor vielen Jahren einen Mann über den Hauswein schimpfen hören. Andere fanden das unangebracht - Ich fand es erfrischend.“ Vor 12 Jahren hatten sie sich in dieser Stadt kennengelernt. Niemals hätte sie gedacht, dass ein Mann derart Einfluss auf sie haben konnte. Doch Godwyn war genau dieser Mann gewesen. Und wenn sie ehrlich war, war er es immer noch.
