03-11-2024, 14:44 - Wörter:
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 03-11-2024, 14:46 von Vanja Neshat.)
Hello darkness, my old friend
Die Kerze war schon so weit heruntergebrannt, dass ihre Flammen scharf ums Überleben kämpfte und immer wieder bedrohlich flackerte, wenn auch nur der kleinste Windhauch durch das Zimmer fuhr. Der Wachsstumpfen der dort auf dem Tisch stand war bei weitem nicht die einzige kleine Flamme, die das Zimmer erhellte, doch ihre Zuschauerin hatte sich ihr Herunterbrennen als Ziel genannt, um ins Bett zu gehen. Mittlerweile war die Sonne schon lange hinterm Horizont verschwunden, die Kinder schliefen längst und die Müdigkeit breitete sich auch so langsam in ihren Knochen aus. Etwas fehlte jedoch: ihr Ehemann. Sicher war es keine Seltenheit, dass er spätabends länger wegblieb, auch nicht, dass er erst nach Hause kam, wenn Vanja schon längst einen unruhigen Schlaf gefunden hatte, doch heute war ihr Bedürfnis noch mit ihm zu reden so groß gewesen, dass sie wach bleiben wollte. Eine geöffnete Flasche Wein stand auf dem kantigen Holztisch und ein Opium-Stäbchen verteilte seinen nahezu penetranten Duft im Haus der Neshats. Bislang war die Flasche nicht angerührt worden. Vanja trank zwar Wein, sah jedoch keinen Zweck darin ihn alleine zu genießen. I've come to talk with you again
Blinzelnd warf sie einen kurzen Blick auf die noch immer unberührt daliegende Haustür. Die filigranen Buntgläser in ihr ließen Bewegungen dahinter erahnen, wenn sich jemand der Tür näherte, doch von Keeran war weit und breit keine Spur. Ein leises Seufzen benetzte ihre Lippen. Es gab nicht mal etwas zu bereden, das es wert wäre wach zu bleiben. Doch mittlerweile waren Tage vergangen, in denen sie kaum miteinander gesprochen hatten. Entweder waren die Kinder zugegen und forderten Vanjas Aufmerksamkeit (was sie zuletzt als äußerst lästig empfand!) oder Keeran war nicht zu Hause und ließ seine Ehefrau das Heim hüten. Nicht, dass sie tatsächlich große Notwendigkeit darin sah die ganze Zeit zu Hause zu bleiben, aber doch konnte man sagen, dass sie deutlich mehr Zeit in ihrem kleinen Anwesen in Dharan al-Bhar verbrachte, als es ihr Ehemann tat.
Raubtierhaft schlug sie ihre Beine übereinander, deren Konturen man durch die farbigen Schleier, die die Frauen im Sommerland häufig trugen, bestens verfolgen konnte. Sie liebte das Land, in dem sie lebten. Zwar gehörte sie zu den wenigen 5% der gesamten Bevölkerung, die sich überhaupt ein solches Heim leisten konnten, doch das interessierte die Neshat herzlich wenig. Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft waren noch nie Charaktereigenschaften gewesen, die sie sonderlich ausgezeichnet hätten. Viel interessanter fand sie hier das unerbittlich hitzige Wetter, die luftige Kleidung, die nur wenig der Fantasie überließ und die starken Gewürze, die einem beizeiten Tränen in die Augen trieben.
Vanja ließ ihre eigene Hand über ihren Hals gleiten. Sie sehnte sich nach etwas Gesellschaft und warf abermals einen sehnsüchtigen Blick zur Tür.