11-11-2024, 16:48 - Wörter:

Keeran hatte heute keinen guten Tag. Es hatte schleichend angefangen, wie das Gift einer Schlange, das sich vom Zeh ausbreitete und einen Vorgeschmack darauf lieferte, wie die nächsten Stunden ablaufen würden. Ein unausweichlicher Schmerz, der ihn aus den Zeiten begleitete, wo er sein Leben noch aufs Spiel gesetzt hatte, und penetranter wurde, je öfter er sein Knie beanspruchte. Durch die Verhandlungen hatte er sich mit einem Lächeln getragen, nur für das feine Auge ersichtlich, wie er sein Gewicht auf das gesunde Bein verlagert hatte. Nun hallte sein Gehstock schwer durch die Steinstraße. Trotz der abgekühlten Abendluft perlte eine einsame Schweißperle seine Schläfe hinunter, bevor er sie mit seinem Ärmel wegwischte. Heute war er froh, dass die meisten Männer sein Land verlassen hatten; das bedeutete weniger Zeugen.
Man öffnete ihm das Tor, noch bevor er sich bemerkbar machte - oder vielleicht hatten die Sklaven auch einfach ein sensibles Ohr dafür, wie er sich anhörte, wenn er spät abends nach Hause kam. Auch wenn sich kein Muskel zu viel in seinem Gesicht regte, konzentrierte er sich doch darauf, in einem robusten Schritt durch den Vorgarten zu treten, durch die Tür mit dem Buntglas, die das Haupthaus kennzeichnete. Im Erdgeschoss lag ein angenehmer Geruch von Opium, der seine angespannten Nerven beruhigte und ihn seinen Griff um den Stock lockern ließ - erst jetzt merkte er, dass er ihn so fest gehalten hatte, dass das Leder seines Handschuhs um seine Finger spannte. Gerne würde er behaupten, dass man ihm seine Schmerzen nicht ansah, aber die letzten Schritte zum Tisch im Speisesaal waren besonders verzogen, bevor er sich schwerfälliger als sonst auf den Sessel am Tischende fallen ließ. Natürlich wusste er um die Präsenz seiner Frau im unmittelbaren Umfeld; ob er sich jedoch würdigte, war eine andere Sache. Sicher nicht mit Worten, die er für reine Zeit- und Energieverschwendung hielt, wenn er sich lieber von einem Sklaven einen Hocker bringen ließ, um sein kaputtes Knie darauf abzulegen. Die Anspannung war in seinen Kopf geklettert, dass er seine Nasenbrücke mit Zeigefinger und Daumen massierte, die Augen geschlossen in einer verdienten Erholung.
Sekunden vergingen, die er brauchte, um sich von dem Nachhauseweg zu erholen. Minuten vergingen, die er sich nahm, um den Tag sacken zu lassen. Erst dann griff er nach dem Weinglas, das offensichtlich für ihn gedacht war, roch daran und nahm schließlich einen Schluck, den Geschmack anerkennend über die ganze Zunge ausbreitend. “Ah, aus Bardon Pass”, kommentierte er in den Raum hinein. Die ersten Worte, die er seit Tagen an seine Frau richtete, handelten also von Wein. Nicht einmal seinen Blick schenkte er ihr, der müde vom Tag auf der tiefroten Flüssigkeit in seinen behandschuhten Händen lag und lieber zu plädieren schien, ob er noch nach etwas Stärkerem verlangen würde, um später schlafen zu können.