22-11-2024, 21:07 - Wörter:
I am not the only traveler
who has not repaid his debt

Doch es war auch kein Vergnügen, das ihn in die Sommerlande geführt hatte. Kein einfacher Urlaub an den von Mythen umwobenen Gestaden, wo die Wellen wie flüssiges Gold unter der Sonne tanzten. Nein, sein Aufenthalt hier war pragmatisch, fast nüchtern. Kontakte wollten gepflegt, alte Bande gesichert werden. Es gab Berichte, die vertraulich genug waren, dass sie nur ihm selbst anvertraut wurden – keine Schriftrollen, die man einfach einem Söldner in die Hände drückte, egal wie treu er war. Das lag nicht an Misstrauen gegenüber seinen Männern. Er kannte ihre Stärken, wusste um ihren Wert. Doch er hatte allzu oft erlebt, wie vage Erinnerungen und mündlich weitergegebene Botschaften zu gefährlichen Fehlinterpretationen führten – besonders, wenn es um die heiklen Geschäfte der reichen Händler ging. Die Worte mussten präzise sein, die Fakten unangreifbar. Die Wohlhabenden in Dharan al-Bahr zahlten nicht nur für den Stahl seiner Klinge, sondern auch für die Sicherheit, die er mit Diskretion und klarem Verstand garantierte.
Die Straßen der Stadt waren ihm vertraut, und doch lastete an diesem Abend eine seltsame Schwere in der Luft. Vielleicht war es aber auch nur der Wind, der den Geruch von Salz und fernen Gewürzen mit sich trug, oder die leisen Geräusche der Händler, die ihre Stände für die Nacht schlossen.
Tief in seinem Inneren, verborgen hinter der stoischen Fassade, brannte eine leise Sehnsucht. Nach ihr. Nach der Gedankenlosigkeit, die Zariyah ihm geschenkt hatte. Jenen seltenen Moment, in dem er für einen flüchtigen Augenblick die Schwere der Welt von sich abschütteln konnte. Ihre Nähe war wie ein Tanz aus Schatten und Licht gewesen – eine Ablenkung, die er bereitwillig angenommen hatte. Doch war es wirklich Nähe gewesen? Oder nur ein gut gespieltes Schauspiel, eine Illusion, ihr Job? Er wusste es nicht, und vielleicht war das der Grund, warum sie ihn immer wieder in seinen Gedanken heimsuchte. Diese Flüchtigkeit, die wie feiner Sand durch seine Finger rieselte, die ihm nichts Greifbares hinterließ außer der bittersüßen Erinnerung daran, wie leicht sich die Welt für einen Augenblick anfühlen konnte.
Er wählte nicht den Weg zu dem bekannten Bordell. Vielleicht war es Sturheit, vielleicht etwas anderes – eine leise, nagende Weigerung, sich einzugestehen, dass sie ihn auf eine Weise faszinierte, die er nicht begreifen wollte. Denn was würde es bedeuten, das zuzugeben? Es würde bedeuten, sich einzugestehen, dass er etwas gefunden hatte, das ihm seit Jahren fremd gewesen war. Und das in der Gesellschaft einer Frau, die die Welt als Hure bezeichnen würde. Eine Frau, deren Nähe ihm mehr geboten hatte als flüchtige Wärme.
Doch dieser Frieden war trügerisch. So flüchtig wie der Duft von fremden Gewürzen in einer windigen Gasse, so unmöglich zu halten wie das Meer, das sich vor Dharan al-Bahr erstreckte. Und dennoch – es hatte ihn berührt, hatte ihn für einen Moment vergessen lassen, wer und was er war.
Das war es, was ihn zögern ließ. Was ihn dazu brachte, einen anderen Pfad zu wählen. Nicht aus Überzeugung, sondern aus Angst vor der Wahrheit, die er in ihrer Nähe zu finden glaubte.
Caeus stieß die knarrende Tür der nächsten Taverne auf, und ein Schwall von Gerüchen drang ihm entgegen, riss ihn gnadenlos aus seinen Gedanken. Schweiß, schwer und beißend, vermischte sich mit dem säuerlichen Dunst von Alkohol. Doch darüber lag der allgegenwärtige Duft der Gewürze, die Dharan al-Bahr durchdrangen – ein warmer, süßer Hauch von Zimt und Kardamom, gemischt mit der Schärfe von Pfeffer und der geheimnisvollen Bitterkeit unbekannter Kräuter. Dieser seltsame Cocktail schien die Luft selbst zu durchtränken, drang ihm in die Nase, auf die Zunge, ließ ihn unwillkürlich den Kopf schütteln, als wollte er einen klaren Gedanken fassen. Aber vielleicht war das genau das, was er brauchte: Ablenkung. Etwas, das die leise Unruhe in seinem Inneren übertönte, die ihm nachhing, seit er beschlossen hatte, einen anderen Weg zu gehen.
Er trat tiefer ein, ließ den Lärm und das warme, flackernde Licht der Kerzen seine Sinne einnehmen. Mit einem letzten, kaum wahrnehmbaren Seufzen schob er die Tür hinter sich zu und machte sich auf, dem Chaos dieses Ortes für eine Weile nachzugeben.
Sondierend glitt sein Blick durch den Raum, als suche er nach einem bekannten Gesicht. Doch das war Unsinn. Natürlich tat er das nicht. Der Anführer der Bruderschaft würde kaum in einer Taverne wie dieser jemanden erwarten, den er kannte – geschweige denn einen seiner Kunden. Und doch ... etwas in ihm blieb wachsam, wie ein Raubtier, das Instinktiv auf einen Laut in der Dunkelheit lauscht.
Und dann fror er ein.
Für den Bruchteil einer Sekunde.
Sein Atem stockte kaum merklich, als er das Haar entdeckte – blond, beinahe weiß, wie ein Streifen Mondlicht in der dumpfen Helligkeit des Raumes. Ein Anblick, der sich mit einer Macht in seinen Geist brannte, die ihn fast erschreckte. Er hatte diese Farbe, diese Struktur schon seit Jahren nicht mehr gesehen, und doch – er erinnerte sich, als wäre es gestern gewesen. Erinnerte sich an den Hauch von vertrautem Duft, an die seltsam fesselnde Mischung aus Weichheit und Stärke, die ihm wie ein unauslöschliches Echo aus einer anderen Zeit blieb.
Vanja.
Das Wort formte sich in seinem Kopf, wie ein ferner Klang, der durch die Jahre hallte. Zwölf? Dreizehn Jahre? So lange war es her, und doch wirkte die Erinnerung lebendig, greifbar. Eine Flut aus Bildern und alten Gefühlen stürzten auf ihn ein. Doch Caeus wäre nicht Caeus, wenn der Schock ihn länger als einen Wimpernschlag in die Knie gezwungen hätte. Er war ein Mann, der gelernt hatte, selbst in den unberechenbarsten Momenten die Kontrolle zu wahren. Das Flackern von Emotion in seinen Augen verging so schnell, wie es gekommen war, verdrängt von einem Hauch von Neugier, gemischt mit der altbekannten Selbstsicherheit, die ihm eigen war.
Mit zielstrebigen Schritten überbrückte er den Raum, ein leichtes, beinahe herausforderndes Lächeln auf seinen Lippen. Als er schließlich vor ihr stand, musterten seine Augen sie. Sie war gealtert, ja, aber nicht auf eine Weise, die etwas von ihrer Präsenz genommen hätte. Im Gegenteil. Die Linien ihres Gesichts erzählten Geschichten, die sie nur noch eindrucksvoller machten.
„Vanja.“, sagte er, ihre Augen suchend. Der Klang ihres Namens auf seinen Lippen war wie ein Schlüssel zu einer Tür, die seit Jahren verschlossen war. „Als wäre es gestern gewesen...“
