27-11-2024, 21:46 - Wörter:
The air is cold
the night is long.

Doch dann war da auch etwas anderes. Das ständige Gefühl einer Last, die er nicht abschütteln konnte. Ein winziger, aber mächtiger Gedanke, der seine Freude über die bevorstehenden Kämpfe überschattete: sein Kind. Das Leben, das noch in seiner Frau wuchs. Der Gedanke daran ließ ihn gleichzeitig in den Abgrund starren und den Himmel voller Sterne suchen. Was, wenn er in den Kampf zog und nicht zurückkehrte? Was, wenn der Ruf des Kampfes ihm das Leben kostete, das er noch nicht einmal ganz erfasst hatte? Was, wenn er nie die Gelegenheit hatte, den ersten Atemzug seines Kindes zu hören, oder nie seinen Sohn oder seine Tochter in den Armen zu halten?
Solche Gedanken standen Erik nicht zu Gesicht, und er würde sie wohl auch kaum aussprechen – geschweige denn würde er zulassen, dass sie seine Entschlossenheit, Seite an Seite mit Leif wieder in den Kampf zu ziehen, auch nur im Geringsten schmälern. Es gab keine Zweifel, keine Furcht, keine Sorge um das, was kommen mochte. Es war sowieso schon festgeschrieben.
Erik versuchte, die Gedanken zu zerstreuen und den Schlaf seiner Frau nicht weiter zu stören, weil er sich in den Pelzen wand. Aber die Unruhe ließ nicht nach. Sie nagte an ihm, sie zerrte an ihm, rief ihn. Er stieß die Luft aus seinen Lungen. Ein tiefes, resigniertes Seufzen. Dann warf er die Pelze von sich und stand langsam auf. Sein Schädel schmerzte und das lag nicht allein an seinen ungewöhnlich vielen Gedanken, sondern auch dem Bier, welchem er vergangenen Abend nur all zu sehr verfallen war.
Wenig später fand Erik sich in den Ställen seines Vaters wieder. Der Duft von Heu und frischem Stroh lag in der kühlen Morgenluft, die durch die Fenster der alten Stallungen zog. Thorin stand in einer der Boxen, den Kopf gehoben, und musterte seinen Herrn mit jenem vertrauten Blick, der nur einem treuen Pferd vorbehalten war, das aus jahrelanger Begleitung wusste, wann es gebraucht wurde. Der braune Wallach war ein altes, zuverlässiges Tier, das ihm auf zahllosen Reisen beigestanden hatte. Doch inzwischen hatte es ausgedient. Es war nicht mehr das schnelle, ungestüme Pferd von früher, das die Sonne in seinem Fell fing und die es wie poliertes Kupfer erstrahlen ließ, sondern ein langsamerer, müder Begleiter, der das Gewicht vieler Jahre trug. Aber Erik hatte an dem Tier gehangen, vielleicht mehr, als es für einen Krieger angebracht war. Thorin würde ihn noch einige Zeit begleiten, auch wenn er wusste, dass er sich bald nach einem neuen Pferd umsehen musste - zumindest wenn er mit Leif noch mithalten wollte. Bereits die letzte große Reise hatte dem Tier viel Kraft gekostet.
Mit einem leisen Seufzen strich Erik dem braunen Wallach über die breite Stirn, die sich zunehmend mit grauen Strähnen zierte, und ließ seine Hand kurz verweilen. Der Pferdekopf senkte sich vertrauensvoll, als wüsste er, dass es der letzte Ritt gewesen sein könnte, der ihm bevorstand. In wenigen Handgriffen sattelte Erik das Tier.
Doch während er das Sattelzeug festzurrte, war Erik ein leises Geräusch aufgefallen. Jemand war ihm in die Stallungen gefolgt. Er drehte sich nicht sofort um, sondern ließ die Stille einen Moment lang wirken, während er die Zügel des Pferdes in der Hand behielt. "Kommst du mit?", fragte er schließlich in die Dunkelheit der Stallgasse hinein, seine Stimme ruhig, doch durchzogen von einem Hauch von Erwartung und Schalk. Er wusste, dass es nur eine Person sein konnte, die ihm ohne ein Wort zu sagen in die Ställe gefolgt war. Und er wusste auch, dass sie längst auf diese Frage gewartet hatte.