28-11-2024, 13:59 - Wörter:

“Will ich das?”
Ein weiterer Schluck von der kleinen, roten Flüssigkeit benetzte seine Lippen und schenkte ihm einen Tropfen der Ruhe, von dem er momentan noch abwägte, ob er ihn nicht lieber genoss als seine Frau im Schoß. Hätte sie sich einen anderen Abend ausgesucht, wüssten sie beide ganz genau, worauf ihr Spiel hinauslaufen würde und deswegen war es eben genau das, ein Spiel. Aber der Schmerz nahm noch immer einen Großteil seines müden Kopfes in Anspruch und erinnerte ihn nüchtern daran, dass er eben keine 20 mehr war. Die Tage waren lang, die Abende länger und er konnte die körperliche und mentale Anstrengung nicht mehr einfach so wegstecken; nur betäuben. Mit einer flüchtigen Geste wank er den Sklaven zu sich, von dem er wusste, dass er in den Schatten stand. “Meine Pfeife.”
Er sah ihm länger hinterher, als er Vanja bisher angesehen hatte, aber als er ihr endlich wieder Aufmerksamkeit schenkte, war ein Funken Leben in seine Augen zurückgekehrt. Seine Hand ruhte jedoch nicht mehr auf ihrem Oberschenkel, sondern wartete, bis man die Wasserpfeife neben ihnen abstellte und ihm das Mundstück reichte. Die Kohle glomm warm vor sich hin, als er die Pfeife an seine Lippen führte und tief den Dampf einzog.
Einmal ziehen und nichts passierte. Ruhig lag Keerans Blick auf seiner Frau, während grauer Dampf sein Blickfeld vernebelte.
Zweimal ziehen, und der Dampf legte sich über den präsenten Schmerz, wie sich der Stoff von Vanjas Rock um ihre nackten Beine schmiegte. Keeran sank tiefer in die Lehne zurück und stellte das Weinglas ab. Seine Brust senkte sich und mit ihr senkte sich die Anspannung vom Tag, die Anspannung von seinem Knie, die Anspannung von der Nähe, die ihn für immer als ewiges Laster begleiten würde. Noch immer sah er seine Frau an, und wenn sie sich entscheiden würde, näher zu kommen und ihre verdiente Aufmerksamkeit von ihm einzufordern, dann würde er nichts dagegen unternehmen. Aber er wollte, dass sie zu ihm kam. Er wollte, dass sie sich verletzlich zeigte mit ihrem Wunsch und ihrer Sehnsucht, dass sie ihn dafür hasste, ihm die Augen auskratzen wollte; nur um festzustellen, dass sie ihn mehr wollte, als sie ihn hasste. Und dann wollte er sehen, wie ihr kaltes Blau von dem Hass genährt wurde, der sie so begehrenswert und gefährlich machte. Er wollte sich an dem Feuer verbrennen, gleichsam, wie er es schüren wollte, weil er wusste: Nur eine Person konnte Vanja Neshat über ihre Grenzen treiben. Nicht ihre Eltern, oder ihre Kinder - es war Keeran allein, der den Anker von Zorn und Größe stellte.