30-11-2024, 04:56 - Wörter:

Leif hatte sich noch nie so klein gefühlt. Der Boden unter seinen Füßen war noch nie so unsicher und unwirklich gewesen, nichtmal, als er mit Erik zu viel gebechert und lachend das Gras von unten betrachtet hatte. Es war Aleena, die ihm freudestrahlend und mit feuchten Augen von ihrer Schwangerschaft berichtete, immer wieder (oder vielleicht war das sein Kopf, in dem da Echo ihrer Stimme widerhallte), bis es etwas in ihm löste, das er nicht einordnen konnte. Ein Knoten vielleicht. Etwas, das in ihm hauste, seit er seiner Frau zum ersten Mal ins Gesicht geblickt und festgestellt hatte Sie gehört nicht zu mir. Ein Gefühl, das sich über Haut und Knochen gespannt hatte, als ihre Hände zur Eheschließung mit einem Tuch bedeckt worden waren. Ein Druck, der ihn gefangen hielt, wenn er sie angespannt von ihrem Nachtkleid befreite und umdrehte, dass er ihr nicht ins Gesicht sehen musste. Pflichtbewusstsein hatte seinen Preis und niemand verstand, wie ein Kronprinz, dem die ganze Zukunft zu Füßen lag, so davon gefangen gehalten werden konnte.
Als er Aleena nun ins Gesicht sah, schien er sich zum ersten Mal daran zu erinnern, wie man in ihrer Gegenwart atmete. “Du bist schwanger”, wiederholte er ihre Worte und endlich erreichte die Erkenntnis auch sein Bewusstsein. Seine Augen waren ein Strudel aus Gefühlen, kaum in der Lage, auch nur eines von ihnen zu greifen und genauso fühlten sich auch seine Knie an. Auf einmal musste er dem Boden näher sein, um ihn zu fühlen, und sein Körper reagierte noch, bevor sein Geist hinterherkam. Kalter Stein drückte sich gegen seine Knie und Momente später drückte sich ein warmer Körper gegen seine Brust. Es war genau das, was er brauchte, um endlich in der Realität anzukommen. “Aleena, du bist schwanger.”
Aleena war schwanger. Aleena, die nie so recht ins Winterland und an Leifs Seite gepasst hatte. Aleena, die sich so viel Mühe gab, dazuzugehören und die Distanz, die Leif aufgebaut hatte, mit ihrer optimistischen Art zu überbrücken. Aleena, die - ob sie wollte oder nicht - sich immer noch genau so zerbrechlich in Leifs Armen anfühlte wie der Frühling selbst, als er sie in eine Umarmung schloss, die gleichsam beschützend und ungewöhnlich zärtlich war. Aleena, die weinte und damit alles zum Ausdruck brachte, was ihr Mann nicht konnte.
Leif atmete aus und vergrub sein Gesicht in ihrem blonden Schopf. Ihm versagte die Stimme, deswegen erhob er sie nicht, sondern hielt Aleena nur in seinen Armen und wippte sie hin und her, dabei war er derjenige, der diese routinierte Bewegung brauchte. Jahrelanger Zwang und Versuch ohne Ergebnis brachte sie beide endlich an den Punkt, wo sie sich in den Armen liegen und glücklich sein konnten. Vier Jahre Ehe, vier Jahre Pflicht, vier Jahre schlechtes Gewissen, weil Leif sich nie hatte verlieben können. Mit einem Sohn hatte der Druck endlich ein Ende.
Der Knoten, der sich in Leif löste, hieß Erleichterung.