05-01-2025, 00:10 - Wörter:

Sie beobachtete, wie er sich auf der Steinbank niederließ, ein anderes verdammtes Kind mit den hohlen Wangen des harten Lebens hier auftauchte und gleich einem Geist wieder verschwand, wie Hafiz sich eine Dattel griff und diese mit der Gemütlichkeit eines Mannes kaute, der wusste, dass die Zeit auf seiner Seite war. Es war faszinierend, wie er in dieser Welt aus Chaos und Elend so selbstverständlich seinen Platz einnahm. Aber Tyra war nicht hier, um sich von Hafiz’ Aura beeindrucken zu lassen. Sie hatte ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Und hoffentlich Silber zu verdienen. Mit einem tiefen Seufzen setzte sie sich neben ihn, streckte die sehnigen Beine aus und klopfte sich eine kräftige Staubwolke von ihrer Rüstung. »Während du hier vermutlich tagtäglich gegen die gesamte königliche Armee antrittst, habe ich in der Heimat Geschichte geschrieben. Naja, zumindest fast.« Sie lehnte sich vor, um seinen Blick einzufangen, und ein stolzes Funkeln tanzte in ihren blauen Augen. »Es gab einen Axtwettkampf, und ich habe gegen den späteren Sieger gekämpft. Die Menschen haben geschrien, Hafiz, geschrien! Und dann …« Ihre Stimme wurde leiser, ein Hauch von Enttäuschung schlich sich ein, auch wenn sie es geschickt hinter einem frechen Grinsen verbarg. »… hat der verflucht talentierte Königsbengel vermutlich einfach einen guten Tag gehabt. Hat mich übertrumpft. Knapp. Aber ich habe ihm den Respekt der Menge abgerungen, das schwöre ich dir.«
Sie lehnte sich zurück und strich mit den Fingern durch ihr blondes, von der Reise verfilztes Haar. »Und das hier? Siehst du das?« Mit einer schnellen Bewegung zog sie den Stoff des Halstuchs etwas beiseite und offenbarte eine groteske Narbe, die sich von ihrem Kiefer bis unter ihr linkes Ohr zog. »Der Preis für meinen letzten Wurf. Natürlich selbst genäht. Ist sie nicht wunderschön? Ein echtes Meisterwerk.« Sie lachte, voller Ehrlichkeit, doch die Bitterkeit über ihre Niederlage hallte in ihrem Herzen nach. Jetzt nahm sie sich ebenfalls eine Dattel und biss hinein. »Aber nun zu dir, Freund. Was zum Teufel passiert hier unten? Ich höre Geschichten. Flutwellen, die Dharan al-Bahr heimsuchen, als hätte der Ozean selbst beschlossen, euren Dreck einfach zu fortzspülen. Soldaten, die durch die Straßen ziehen, als wären sie die Herren der Welt. Kinder, die mit hohlen Wangen am Wegesrand vor sich hin siechen. Und dann noch dieses Getöne aus Castandor. Die Ratten auf den Straßen und Wegen erzählen von einem Einsatzbefehl. Etwas Großem. Groß genug, dass sogar ich davon gehört habe. Was ist los, Hafiz? Was zur Hölle geht in Arcandas vor?« Ihr Ton war ernster geworden, das Lächeln wich einer harten Linie um ihre Lippen. Sie hatte zwar keinen tiefen Sinn für moralische Verpflichtungen, aber wenn jemand wie Hafiz unruhig wurde, bedeutete das meist, dass die Kacke für alle kurz vor dem Dampfen stand. Und das war ein Abenteuer, das sie sich unmöglich entgehen lassen konnte.
