31-05-2025, 08:35 - Wörter:

Man hat Valda erkannt.
Reinka hatte schon immer das Talent besessen, mit wenigen Worten alles auszudrücken. Mitten auf dem Marktplatz unter all den Menschen war es ihm kalt den Nacken herunter gelaufen, weil er das Gefühl hatte, erwischt worden zu sein - wie damals, als er Met für ihn, Erik und seine Schwester geklaut hatte. Das eingefrorene Lachen war der erste Indikator dafür gewesen, dass er die Bedeutung hinter den Worten langsam zu verstehen begann.
Leider verstand er zu viel von den Folgen, die diese Botschaft beinhaltete - die Kettenreaktion, die ein einziger Zufall auslöste und sich nicht nur auf ihn übertrug. Das Erkennen seiner Tochter warf die Tatsache in den Raum, dass sie hier war. Dass Sanna sie hier aufs Fest gebracht hatte, wo Leif bekannt war wie ein bunter Hund, sie musste doch gewusst haben, wie unvorsichtig das war? Es warf auch die Frage auf, wie man sie erkannt hatte; ob sie in seiner Nähe gewesen war, ohne dass er es bemerkt hatte. Wer sie erkannt hatte, und wen Leif umbringen musste, um sie zu schützen. Wo sie war. Und was passieren würde, jetzt, wo nicht nur Reinka von seinem Geheimnis wusste.
Langsam verstand Leif, warum sie ihn nicht durch die Tür lassen wollte, aber es machte den Umstand nicht zwangsläufig besser. Unausgeglichen, wie er war, starrte er mit unhaltbarer Wut in die ruhigen, festen Augen seiner Schwester, auch wenn die Wut gar nicht ihr galt. Schnaufend drehte er sich um und fand sich in einem Raum eingeschlossen, der trotz seiner Größe viel zu klein für ihn war. Es war die Explosion seiner Verzweiflung, welche die Lehne des Holzstuhls zu fassen bekam und ihn quer durch den Raum warf, wo er mit einem lauten Poltern gegen die Steinwand krachte und die Axt darüber aus ihrer Halterung löste. Das Scheppern der Klinge streute nur mehr Chaos in Leifs Kopf und ließ ihn ungehalten in die Mitte des Raumes laufen.
“Und was soll ich sonst tun, hm? Sie ist meine Tochter, Reinka.”
Seine Stimme schnitt durch die Stille, die für ihn ohnehin nur eine Farce war und ihn in ihrer Endgültigkeit zu erdrücken drohte. “Du kannst von mir nicht erwarten, dass ich mein eigenes Blut ihrem Schicksal überlasse.”
Aus ihm sprach Leif, der Krieger, der nie ein Familienmitglied im Stich lassen würde. Leif, der unbeugsame Kronprinz, der sein Leben ungefragt für Land und Volk geben würde. Leif, der Mann, der im Sinne seiner Werte handelte und dachte. Leider ging es hierbei nicht nur um Valda, die an alldem wohl die wenigste Schuld trug. Es ging um die Fehler ihres Vaters, der sich nun mit den Konsequenzen konfrontiert sah, die er so lange gefürchtet hatte. Um seine Ängste, die sich um diesen einen gesagten Satz sponnen und Szenarien webten, von denen er nicht wusste, wie wahrscheinlich sie waren: Sanna tot und blutend im Schnee. Valda alleine vor einem Bär sitzend. Seine eigene Mutter, die Valda in die Finger bekam.Letztendlich war es die Verantwortung, die Leifs Handeln lähmte und auf Reinkas Stärke ansprach, weil sie verstand. Immer hielt sie ihn klein, wog schwer auf seinen Schultern und erdrückte ihn in seiner Pflicht, die er als Kronprinz seinem Land schuldig war. Ein einziger Fehler seinerseits schlug Wellen und er war im Inbegriff, eine Flutwelle loszulassen, weil er nicht wusste, ob er dem Druck noch länger standhalten konnte - oder wollte.
In einer Fügung des Schicksals war Reinka es, die ihn in die Burg gezerrt hatte und nicht allein ließ in einer dunklen, schwarzen Stunde, obwohl draußen trotzig die Sonne schien und den Schnee schmolz. Reinka, die besser als jeder andere wusste, zwischen welchen Stühlen ihr Bruder stand, und dass er sich manchmal Schuhe anzog, die ihm zu groß waren.