04-06-2025, 19:06 - Wörter:
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 04-06-2025, 19:24 von Moira Fraser.)

Langsam schlenderte sie durch die gewölbten Gänge der Burg. Ihre Finger glitten flüchtig über das kalte Gestein, so, als lauschten sie auf das Echo der Brandung, die an den Fundamenten ihres Zuhauses leckten. Die tiefschwarze Tinte an ihrer rechten Hand war noch nicht ganz trocken – ein schmaler Fleck an der Seite ihres Mittelfingers verriet, dass sie eben erst das Schreiben an Lehnsmann Dunleigh beendet hatte. Eine höfliche, aber unmissverständliche Erinnerung an seine ausstehenden Abgaben. Der Bote war längst fort, das Pergament versiegelt mit dem Wappen ihres Bruders – doch Cathal hatte darum gebeten, ihn darüber zu informieren.
Also suchte sie ihn. In der Halle hatte man ihn nicht gesehen. Auch nicht in der Bibliothek, wo er manchmal still saß, als könnte er durch das raschelnde Pergament hören, was dort geschrieben stand. Sein Lieblingsort war jedoch woanders – dort, wo die Welt nicht aus Worten bestand, sondern aus Klang, Wind und Widerstand.
Dann hörte sie es, und sie wusste, sie hatte wieder einmal Recht gehabt: Stimmen, ein dumpfes Aufeinanderprallen, ein kurzes Aufkeuchen, gefolgt von heiserem Gelächter übermütiger Männer. Kampfübungen. Moira beschleunigte ihre Schritte.
Der Innenhof öffnete sich vor ihr wie ein karges Theater aus Stein und Zielscheiben. Männer standen in einem weiten Kreis, Vasallen ihres Bruders, und gröhlten übermütig. Sie hielten jedoch inne, als sie sie entdeckten und tuschelten aufgeregt, gaben hastig die Sicht frei auf Cathal, der in der Mitte des improvisierten Turnierrings stand – die Stirn gerunzelt, der Atem flach, der Körper angespannt. Vor ihm lag jemand auf dem Rücken, die Brust hob und senkte sich schnell, und an der Schläfe benetzte eine blutende Wunde sein Gesicht.
»Bei der Göttin, Cathal …« Moira schob sich mit resolutem Schritt durch die Männer und bedeutete ihnen, dass die Darbietung nun ein Ende hatte. Diese zerstreuten sich schnell, stolperten beinahe übereinander. »Er ist dein Freund, kein Wildschwein aus den Sümpfen.« Cathal drehte nur leicht den Kopf. Seine Lippen zuckten. »Er hat gesagt, ich soll mich nicht zurückhalten.« Moira schnaubte undamenhaft und verdrehte die Augen. Auch wenn Cathal es nicht sehen konnte, seine missmutige Miene ließ sie wissen, dass er durchaus wusste, dass sie es tat. »Du nimmst solche Einladungen immer so wörtlich. Geh und wasch dir das Blut von der Brust, bevor jemand denkt, du hättest den Verstand verloren. Du siehst aus wie von Sinnen.« Ihre Stimme klang tadelnd, aber wer sie kannte, hörte das Lächeln darin. Sie wartete, bis ihr Bruder ihrer schwesterlichen Order Folge leistete. Er spürte ihren Blick, wie immer, und ging zielstrebig, wie es ihm wohl niemand außerhalb dieser Mauern zutraute – fort vom Turnierring, fort von ihr, fort von seinem Freund, der noch immer auf dem Rücken lag.
Moira seufzte leise, wenn auch schwer und kniete sich dann neben Aodhán. Die Kälte der Steine drang sofort durch die Röcke ihres Gewandes, doch sie beachtete sie kaum. Stattdessen musterte sie den Dunkelhaarigen vor sich, prüfte mit skeptisch verengten Augen die Wunde an seiner Schläfe. Das Blut hatte eine schmale Spur gezogen, entlang seiner Stirn, über die hohe Wange bis zu seinem Ohr. Ihr Blick glitt kurz über seinen nackten Oberkörper, über die schmale Linie des Schweißes, die sich zwischen den Brustmuskeln abzeichnete, über eine alte Narbe, deren Geschichte sie nicht kannte. Moira runzelte die Stirn und richtete schließlich ihren Blick wieder auf sein Gesicht.
»Also, Henaghen«,, begann sie trocken und mit dem Tonfall einer leidgeprüften Mutter. »War das Teil einer neuen Form der Initiation für das Heiligtum, oder doch nur Dummheit aus alter Freundschaft?« Sie griff behutsam in den weichen Beutel an ihrer Hüfte, zog ein schneeweißes, zusammengefaltetes Tuch hervor, das sie mit einem leisen Zungenschnalzen auseinanderfaltete, sodass ihre gestickten Initialen sichtbar wurden. »Ich hoffe, du hast wenigstens auch ein paar Treffer landen können?« Sanft, aber nachdrücklich presste sie das Tuch gegen seine Schläfe. »Die Blutung steht bald, aber es wird anschwellen. Deine Augen könnten eine Weile asymmetrisch wirken – was dir deine Gespielinnen aber sicher vorübergehend verzeihen werden.« Sie hob den Blick und schob eine feuchte Haarsträhne aus seiner Stirn. »Ich hingegen bin nicht so nachsichtig.«
Sie sagte es mit einem verschmitzten Lächeln – eins, das nur selten zu sehen war, und das niemandem gehörte außer ihrem Bruder. Und Aodhán. Manchmal. Einen Moment verweilte sie so, dann bedeutete sie ihm, ihr das Tuch abzunehmen, bevor sie aufstand. Sie reichte ihm nicht die Hand – sie hatte ihn genug geneckt für einen Tag. Die Sonne stand inzwischen höher, tauchte die Burgmauern in ein weiches Licht, das ihre Schatten länger wirken ließ. »Komm, wir gehen in die Küche, dort finde ich alles, was ich benötigen werde. Das Mittagessen sollte bereits vorbereitet sein, du kannst dich also beruhigt auf den großen Tisch legen, falls dir schlecht werden sollte.« Vielleicht war es doch noch nicht genug mit der Neckerei. »Dort sind wir unter uns, damit du niemandem erklären musst, dass du in Cathals Faust gelaufen bist.« Sie wandte sich schon halb ab, verbiss sich nun endgültig ein Lachen, wartete aber auf ihn, hoffend, dass er ihr verzieh.
