06-06-2025, 06:46 - Wörter:

Wenn Heofader uns zum Regieren geschaffen hat, warum hat er uns die Wahl gegeben, wen wir lieben.
Ariald würde nicht verstehen, welche Konflikte seinen Sohn trieben. Er würde ihn mit eben derselben, unbarmherzigen Kälte behandeln, wie er einen Feind behandelte, und allein dessen Erwähnung brachte einen weiteren Stein ins Rollen, dass Leif kaum noch wusste, wohin mit sich.
“Ich hab nicht gezielt”
, antwortete er, als gehörten die Worte kaum ihm, als spreche sie ein Fremder aus, der Besitz von ihm ergriffen hatte - ein Biest, das seine Klauen von innen heraus durch sein Fleisch schlug und sich nach draußen graben wohlte.Er nannte das Biest Verzweiflung. Lähmende, betäubende Verzweiflung, der er nur mit einem Sturm begegnen konnte, um eine Scherbe seines Seins bei sich zu halten.
Verzweiflung auf die schiere Unmöglichkeit, jetzt zur Ruhe zu kommen, den Kopf auf das Angebot schüttelnd, sich zu setzen.
Verzweiflung, die sich ausbreitete, als er erfuhr, dass Reinka ihn mit Valda gesehen hatte.
Verzweiflung, die ihre Furchen tief in seine Stirn schlug, als er erinnert wurde, wie sehr er sie liebte.
Und was, wenn er sie liebte? Würde daran ein Königreich zerbrechen?
Letztendlich kam er doch dem Angebot nach und setzte sich; eventuell waren es auch seine Schultern, die sich ihrer Schwere erst bewusst zu werden schienen, nachdem der Sturm sich allmählich lichtete und Platz für Resignation machte. Jedes Wort, das Reinka sprach, traf ihn tief mit Wahrheit und spiegelte sich in seinem langen Gesicht wider, den von Schmerz gezeichneten, blauen Augen, die unruhig den Steinboden absuchten. In diesem Moment sah er älter aus, als er eigentlich war; Verantwortung machte auch junge, optimistische Geister starr und gebrechlich, wenn man keinen Ausgleich mehr suchte.
“Hast du sie gesehen?”
, fragte er schließlich, seine Stimme nur noch das Nachbeben seines vorherigen Ausbruchs. “Weißt du, wo sie ist? Hast du jemanden nach ihnen geschickt?”
Und “Was ist mit dem, der sie erkannt hat?”
In Leifs Kopf formte sich das Bild einer Schattenfratze, ohne ihn beim Namen nennen zu können - er, der ihm alles genommen hätte, hätte seine Schwester sich nicht für ihn eingesetzt. Vielleicht flehte er auch. Vielleicht hatte die Hilflosigkeit ihn so sehr übermannt, dass er nicht mehr wusste, sich anders zu helfen. Wer Leif kannte, der wusste, dass er sich nie dazu herabließ, von der Güte einer Person abhängig zu sein, geschweige denn von einem Gott. Und doch saß er hier, sein großer Körper in einem einzigen Atemzug in sich zusammen fallend, als er sich mit den Ellbogen auf seine Knie stützte und seine Hände über seinen Nacken rieben. Fast zu einem Gebet den Kopf gesenkt, brachte er nicht mehr die Kraft auf, sich gegen die Wahrheit zu wehren.
“Sanna Lorenson.”
Der Name fühlte sich roh auf seiner Zunge an und hatte einen Nachhall, den er vor Reinka weder verstecken konnte, noch verstecken wollte. “Eine Jägerin aus einem Dorf… in der Nähe von Wolfsmark.”
Jetzt, wo er sprach, realisierte er, dass er noch nie laut über sie geredet hatte; jedenfalls nicht, nachdem er von seiner Tochter erfahren hatte. Immer nur mit seinen Brüdern, lachend in Erinnerungen schwelgend über Weib, Brust und Eroberung. Dass in ihrem ausgesprochenen Namen mittlerweile eine Stille lag, die er nicht wagte, auszufüllen, weckte ein neues Gefühl in ihm, das er nicht nennen wollte.