10-06-2025, 18:24 - Wörter:
Die Stute schoss los wie ein vom Wind getriebener Funke — ein roter Blitz auf weißem Grund. Schnee stob unter ihren Hufen empor, glitzernde. Abertausende Eiskristalle im Morgenlicht, während Reinka ihrem Anblick nachsah. Das Feuer des Tieres hatte sich entfesselt, doch nicht blind oder ungestüm. Sie trug Veith nicht, sie tanzte mit ihm – wilder Takt, gezähmte Kraft. Und er beherrschte sie nicht, er begleitete sie, wie ein erfahrener Tänzer. Sie verstand nun, warum er sich für die Stute entschieden hatte. Nicht aus Eitelkeit oder Leichtsinn – sondern, um sich zu prüfen. Zu erinnern, wer er war.
Reinka lächelte kaum merklich und trieb Geist zu einem ruhigeren Galopp an, bedacht und gleichmäßig. Der Wallach war kein Pferd für Wettläufe, kein Tänzer auf Glut. Geist war wie das Land, das ihn geboren hatte: schweigsam, zäh, verlässlich. Ein Fels inmitten von Sturm und Schnee. Und doch – als die rote Mähne vor ihr flatterte, als sie sah, wie das Pferd unter Veith förmlich aufging, wie Reiter und Tier zu einer Bewegung wurden – da spürte sie den vertrauten Stich. Jenen, den man verspürte, wenn man wusste, dass ein Teil von einem nie wieder ganz frei sein würde. Nicht wegen der Verantwortung. Nicht wegen des Lebens, das in ihr wuchs. Sondern, weil sie einmal beschlossen hatte, das eigene Feuer zum Wohle anderer zu zügeln.
Und dennoch … war da kein Bedauern. Nicht in dem Moment, in dem ihre Finger unbewusst über den Pelz ihres Umhangs strichen – jenes feinen Werks aus Luchshaar, das Erik ihr kürzlich selbst gegerbt hatte. Mit bloßen Händen, ohne Hilfe. ’Meine Fürstin sollte etwas Edles tragen’, hatte er gesagt, ’damit man nicht jeder gleich bemerkt, wie wild dein Herz in Wirklichkeit noch ist.’ Und sie liebte es, dass er sie nie zähmen wollte. Sie nur hielt, wenn sie es selbst verlangte. Nicht alle Männer waren so, und nicht alle Frauen konnten sich ein solches Glück wünschen. Sie dachte an Ylva. Wild, trotzig, unzähmbar. Und an Veith, der mit jeder seiner Sorgen bewies, wie sehr er liebte. Aber auch, wie wenig er begriff, dass man Feuer nicht einfängt, indem man es mit Erde begräbt. Sie hoffte, dass die Welt es gut meinte mit Ylva, dass sie jemanden fände, der sie verstand. So wie Erik seine Frau verstanden hatte.
Sie holte den Krieger erst am Waldrand wieder ein. Geist schnaubte ruhig, gleichmäßig – sein Atem dampfte in kleinen Wölkchen. Veiths mächtige Silhouette hob sich gegen das Halbdunkel der Bäume ab, die im fahlen Licht des Morgens wie schlafende Riesen wirkten. Als er sprach, spürte sie die Ehrlichkeit seiner Worte – und sah, wie er das Tier unter sich betrachtete, als habe es ihm mehr über sich selbst erzählt als jeder Mensch der letzten Jahre.
„Sie hat Kraft, Herz und Willen.“ Ihre Stimme war leise, fast andächtig, doch bestimmt. „Sie testet nur die, denen sie sich anvertraut. Das tut sie bei jedem. Aber bei Euch …“ Sie ließ den Satz ausklingen, schob eine sich aus dem Flechtwerk in ihrem Nacken gelöste Haarsträhne nachlässig aus ihrer Stirn. „Sie hat Euch angenommen, Veith.“
Ihr Blick wanderte zu den Höhenzügen, wo sich das Weiß über das Land legte wie ein Mantel aus stiller Reinheit. „Kommt. Der Pfad dort oben ist schmal, aber sicher.“ Mit einem kaum merklichen Zügelimpuls lenkte sie Geist in die Richtung, wo die ersten schroffen Hänge begannen. Die Stille um sie war vollkommen – kein Laut, nur das leise Knirschen von Schnee unter Hufen, das ferne Ticken fallender Eiskristalle, wenn sich ein Ast unter dem Frost streckte. Es war ein Zauber, den nur jene empfanden, die mit dem immerwährenden Winter dieses Landes großgeworden waren. Die in ihm keinen Tod, sondern einen Anfang sahen. Sie sog die klare Luft tief in die Lungen, spürte, wie sie brannte, belebte, wach machte. Schweigend ritten sie nebeneinander her, als hätte sich zwischen ihnen eine unausgesprochene Einigkeit gebildet. Kein Wort, keine Geste nötig.
Bis das Wimmern kam.
Zuerst kaum hörbar – wie ein ferner Windstoß zwischen den in der Höhe lichter werdenden Bäumen. Dann deutlicher. Ein hohes, kindliches Weinen, von Angst und Schmerz durchzogen. Und darunter – rauer, keuchender Atem, voller Panik. Mehrere Stimmen, spottend, drohend. Männer. Die hektisch keuchende Frau, die zu flüstern versuchte, zu beschwichtigen, während sie zwischen Angst und Verzweiflung schwankte.
Reinkas Kopf fuhr hoch, ihr Blick wurde scharf. Geist hielt inne, als spürte auch er die Veränderung. Und seine Reiterin spürte es in sich – ein uralter, längst gezähmter Teil, der sich regte. Der aufstand. Die Kriegerin, nicht nur die künftige Fürstin, nicht nur die Mutter.
Sie tastete instinktiv nach dem Griff des Anderthalbhänders, der verborgen hinter dem rechten Sattelblatt ruhte. Die Klinge, schlicht, bewährt, war nicht dazu gedacht, zu glänzen, sondern zu schützen. Geist stampfte unruhig mit dem Vorderhuf, warf den mächtigen Schädel hin und her. Ihr Blick huschte zur Quelle des Tumults, verengte sich konzentriert, bevor er zu Veith wanderte. Kurz und fragend. Dann flüsterte sie nur: „Westlich. Drei Männer. Zwei zu Fuß. Einer hält das Kind.“ Keine Panik. Keine Hektik. Nur reine Wachsamkeit. Der Blick geschärft, der Atem ruhig, die Sinne offen. Reinka zügelte Geist, senkte den Oberkörper ein wenig, um besser sehen zu können, zwischen den Bäumen hindurch. Dann wartete sie. Bereit. Wie damals, als das Leben eines anderen in ihren Augen alles war, was zählte.
Reinka lächelte kaum merklich und trieb Geist zu einem ruhigeren Galopp an, bedacht und gleichmäßig. Der Wallach war kein Pferd für Wettläufe, kein Tänzer auf Glut. Geist war wie das Land, das ihn geboren hatte: schweigsam, zäh, verlässlich. Ein Fels inmitten von Sturm und Schnee. Und doch – als die rote Mähne vor ihr flatterte, als sie sah, wie das Pferd unter Veith förmlich aufging, wie Reiter und Tier zu einer Bewegung wurden – da spürte sie den vertrauten Stich. Jenen, den man verspürte, wenn man wusste, dass ein Teil von einem nie wieder ganz frei sein würde. Nicht wegen der Verantwortung. Nicht wegen des Lebens, das in ihr wuchs. Sondern, weil sie einmal beschlossen hatte, das eigene Feuer zum Wohle anderer zu zügeln.
Und dennoch … war da kein Bedauern. Nicht in dem Moment, in dem ihre Finger unbewusst über den Pelz ihres Umhangs strichen – jenes feinen Werks aus Luchshaar, das Erik ihr kürzlich selbst gegerbt hatte. Mit bloßen Händen, ohne Hilfe. ’Meine Fürstin sollte etwas Edles tragen’, hatte er gesagt, ’damit man nicht jeder gleich bemerkt, wie wild dein Herz in Wirklichkeit noch ist.’ Und sie liebte es, dass er sie nie zähmen wollte. Sie nur hielt, wenn sie es selbst verlangte. Nicht alle Männer waren so, und nicht alle Frauen konnten sich ein solches Glück wünschen. Sie dachte an Ylva. Wild, trotzig, unzähmbar. Und an Veith, der mit jeder seiner Sorgen bewies, wie sehr er liebte. Aber auch, wie wenig er begriff, dass man Feuer nicht einfängt, indem man es mit Erde begräbt. Sie hoffte, dass die Welt es gut meinte mit Ylva, dass sie jemanden fände, der sie verstand. So wie Erik seine Frau verstanden hatte.
Sie holte den Krieger erst am Waldrand wieder ein. Geist schnaubte ruhig, gleichmäßig – sein Atem dampfte in kleinen Wölkchen. Veiths mächtige Silhouette hob sich gegen das Halbdunkel der Bäume ab, die im fahlen Licht des Morgens wie schlafende Riesen wirkten. Als er sprach, spürte sie die Ehrlichkeit seiner Worte – und sah, wie er das Tier unter sich betrachtete, als habe es ihm mehr über sich selbst erzählt als jeder Mensch der letzten Jahre.
„Sie hat Kraft, Herz und Willen.“ Ihre Stimme war leise, fast andächtig, doch bestimmt. „Sie testet nur die, denen sie sich anvertraut. Das tut sie bei jedem. Aber bei Euch …“ Sie ließ den Satz ausklingen, schob eine sich aus dem Flechtwerk in ihrem Nacken gelöste Haarsträhne nachlässig aus ihrer Stirn. „Sie hat Euch angenommen, Veith.“
Ihr Blick wanderte zu den Höhenzügen, wo sich das Weiß über das Land legte wie ein Mantel aus stiller Reinheit. „Kommt. Der Pfad dort oben ist schmal, aber sicher.“ Mit einem kaum merklichen Zügelimpuls lenkte sie Geist in die Richtung, wo die ersten schroffen Hänge begannen. Die Stille um sie war vollkommen – kein Laut, nur das leise Knirschen von Schnee unter Hufen, das ferne Ticken fallender Eiskristalle, wenn sich ein Ast unter dem Frost streckte. Es war ein Zauber, den nur jene empfanden, die mit dem immerwährenden Winter dieses Landes großgeworden waren. Die in ihm keinen Tod, sondern einen Anfang sahen. Sie sog die klare Luft tief in die Lungen, spürte, wie sie brannte, belebte, wach machte. Schweigend ritten sie nebeneinander her, als hätte sich zwischen ihnen eine unausgesprochene Einigkeit gebildet. Kein Wort, keine Geste nötig.
Bis das Wimmern kam.
Zuerst kaum hörbar – wie ein ferner Windstoß zwischen den in der Höhe lichter werdenden Bäumen. Dann deutlicher. Ein hohes, kindliches Weinen, von Angst und Schmerz durchzogen. Und darunter – rauer, keuchender Atem, voller Panik. Mehrere Stimmen, spottend, drohend. Männer. Die hektisch keuchende Frau, die zu flüstern versuchte, zu beschwichtigen, während sie zwischen Angst und Verzweiflung schwankte.
Reinkas Kopf fuhr hoch, ihr Blick wurde scharf. Geist hielt inne, als spürte auch er die Veränderung. Und seine Reiterin spürte es in sich – ein uralter, längst gezähmter Teil, der sich regte. Der aufstand. Die Kriegerin, nicht nur die künftige Fürstin, nicht nur die Mutter.
Sie tastete instinktiv nach dem Griff des Anderthalbhänders, der verborgen hinter dem rechten Sattelblatt ruhte. Die Klinge, schlicht, bewährt, war nicht dazu gedacht, zu glänzen, sondern zu schützen. Geist stampfte unruhig mit dem Vorderhuf, warf den mächtigen Schädel hin und her. Ihr Blick huschte zur Quelle des Tumults, verengte sich konzentriert, bevor er zu Veith wanderte. Kurz und fragend. Dann flüsterte sie nur: „Westlich. Drei Männer. Zwei zu Fuß. Einer hält das Kind.“ Keine Panik. Keine Hektik. Nur reine Wachsamkeit. Der Blick geschärft, der Atem ruhig, die Sinne offen. Reinka zügelte Geist, senkte den Oberkörper ein wenig, um besser sehen zu können, zwischen den Bäumen hindurch. Dann wartete sie. Bereit. Wie damals, als das Leben eines anderen in ihren Augen alles war, was zählte.