10-07-2025, 08:17 - Wörter:
Die Sonne brannte senkrecht auf den Innenhof. Kaum Schatten, außer den schmalen Streifen unter den Galerien. Die Mauern warfen das Licht zurück, hart und grell, der Boden speicherte die Hitze wie ein glühender Stein. In den Ecken flirrte die Luft, unbewegt und dumpf. Nichts rührte sich, selbst die Vögel unter dem Dachvorsprung schwiegen. Der Hausherr stand an der Balustrade der Galerie im Obergeschoss. Über ihm spannte sich der Arkadengang mit seinen filigranen Bögen, darunter lag der rechteckige Innenhof des Wohntrakts, ein Ort, der einmal für Empfang, Gespräche, Tee in der Dämmerung gedacht war. Doch jetzt war er leer. Der Glanz vergangener Jahre lag wie ein matter Film auf jeder Oberfläche, denn Khalid war nicht gewillt, diesen wieder in neuem Glanz erstrahlen zu lassen.
Er wartete, äußerlich ruhig, doch innerlich war alles angespannt. In ihm lag etwas zwischen Müdigkeit und Groll, eine seltsame Mischung, die sich nicht so leicht voneinander trennen ließ und die es ihm nach seiner Rückkehr immer schwerer machte, freundlich zu sprechen, wenn man ihn begrüßte. Schwerer, den Jungen im Wohntrakt nicht mit Saliha zu vergleichen. Schwerer, bei Tageslicht an das zu glauben, was man „Verantwortung“ nannte.
Er war zurückgekehrt, ja, aber er wusste noch immer nicht, ob es eine Heimkehr war oder eine Art Verbannung in seine eigene Vergangenheit.
„Narin“, sagte er, ohne sich umzudrehen. Die Schritte auf dem Stein waren leise. Der Junge trat hinter ihn, die Arme gefaltet. „Wenn mein Gast kommt, bring ihm Scharab al-Loz und Rosenwasser. So wie man es ihm in seinem eigenen Haus serviert hätte.“ Der Junge nickte leicht. „Er soll sich willkommen fühlen. Nicht mehr. Nicht weniger.“ Abermals stimmte der Junge mit einem Nicken zu, erwiderte dann jedoch ein leises „Ja, Herr“. Danach verbeugte er sich vor Khalid und verschwand wieder. Der Blick des Hausherrn blieb indessen auf das Tor gerichtet. Noch war niemand zu sehen, aber er wusste, dass es nicht mehr lang dauern würde.
Keeran Neshat. Der Rabe.
Der Mann kam nicht zum Tee. Keeran roch nach verbrannten Verträgen, nach Misstrauen, nach Macht, die auf dem Rücken anderer gestapelt wurde. Khalid hatte längst gehört, was man über ihn sagte, selbst in den verstaubten Räumen des Hofes. Jeder Händler zwischen Abu Kabir und der Nordküste kannte seinen Namen, aber niemand sprach ihn aus, ohne vorher einen Blick über die Schulter zu werfen. Ein Händler, sagte man. Ein Stratege. Ein Aasfresser, korrigierten andere. Khalid wusste das. Sein Kiefer spannte sich abermals. Sein Bruder hätte Keeran mit offenen Armen empfangen, hätte gelächelt, gefragt, wie die Reise war oder ob das Knie schmerzte. Farid konnte das. Für ihn war es keine Geste, sondern einfach seine Art. Doch jetzt war Farid tot.
Khalid hatte seinen Bruder geliebt. Aber gleichzeitig hatte er ihn auch gehasst oder das, was aus ihnen geworden war. Denn alles begann mit Saliha. Sie war nie eine bloße Fantasie gewesen. Kein fernes Bild, keine stille Sehnsucht. Sie war real. Warm, nah und greifbar. Es hatte Nächte gegeben, in denen sie nur Gespräche führten, doch es gab auch Stunden, in denen mehr zwischen ihnen lag. Berührungen, zögernd erst, dann mit jenem Hunger, den man nur kennt, wenn etwas endlich greifbar scheint. Er hatte sie geliebt und sie ihn. Davon war Khalid überzeugt gewesen, zumindest vor einer sehr langen Zeit. Er hatte ihr einen Antrag gemacht. Kein offizieller, aber doch ernst gemeint. Ein Versprechen. Er würde bald mit seinem Vater sprechen. Er würde alles vorbereiten. Sie hatte nichts dagegen gesagt. Nur gelächelt und genickt. Und dann…dann hatte sie Farids Antrag angenommen. Khalid hatte nie erfahren, was genau zwischen ihnen geschehen war. Ob es ein taktisches Spiel war oder ein spontanes Entflammen. Jetzt waren beide tot und zurück blieb nur ihr Sohn: Jamil. Der Junge trug nichts von Farid in sich, sondern nur von seiner Mutter. Khalid erkannte sie in jedem einzelnen Blick. Diese feine Spannung im Gesicht. Das schmale Lächeln, das nie ganz aus dem Schatten trat. Er konnte ihn nicht ansehen. Nicht, weil der Junge etwas falsch machte, sondern weil er einfach zu sehr wie seine Mutter war.
„Herr, er ist da“, hörte er Narins Stimme hinter sich. Ruhig, aber nicht ohne eine gewisse Beklommenheit. Ein letztes Mal fiel Khalids Blick auf den Hof unter ihm, das leere Steinbecken, die Risse im Mauerputz, der tote Feigenbaum. Dann wandte er sich zum Gehen. Als er die steinernen Treppenstufen hinabstieg, hallte jeder Schritt in der Stille wider. Er trug keinen Schmuck, nur ein schlichtes Gewand aus sandfarbenem Leinen, mit einem dunklen Gürtel. Es gab kein unnötiges Zeichen von Reichtum an ihm. Als er durch das große Portal auf den Vorplatz trat, blendete ihn die Sonne für einen Moment. Staub tanzte in der Luft. Das Kamel stand noch am Rand, ein Sklave hielt die Zügel. Keeran war schneller mit Worten. Ein Hauch von etwas huschte dabei über Khalids Gesicht. Nicht Spott, aber auch kein Lächeln. Eher eine stumme Müdigkeit, die man sich abtrainiert hatte, aber die manchmal doch durchbrach. „Das sind wir doch alle“, sagte er. Dann trat er einen Schritt zur Seite, mit jener kontrollierten Eleganz, die ihn nie ganz verlassen hatte. „Die Schatten hier draußen sind nicht mehr das, was sie einmal waren.“ Er wies mit einer offenen Geste auf den Durchgang, der in den kühleren Innenhof des Wohntrakts führte. „Komm. Es ist zu heiß, um hier draußen zu reden.“
Er wartete, äußerlich ruhig, doch innerlich war alles angespannt. In ihm lag etwas zwischen Müdigkeit und Groll, eine seltsame Mischung, die sich nicht so leicht voneinander trennen ließ und die es ihm nach seiner Rückkehr immer schwerer machte, freundlich zu sprechen, wenn man ihn begrüßte. Schwerer, den Jungen im Wohntrakt nicht mit Saliha zu vergleichen. Schwerer, bei Tageslicht an das zu glauben, was man „Verantwortung“ nannte.
Er war zurückgekehrt, ja, aber er wusste noch immer nicht, ob es eine Heimkehr war oder eine Art Verbannung in seine eigene Vergangenheit.
„Narin“, sagte er, ohne sich umzudrehen. Die Schritte auf dem Stein waren leise. Der Junge trat hinter ihn, die Arme gefaltet. „Wenn mein Gast kommt, bring ihm Scharab al-Loz und Rosenwasser. So wie man es ihm in seinem eigenen Haus serviert hätte.“ Der Junge nickte leicht. „Er soll sich willkommen fühlen. Nicht mehr. Nicht weniger.“ Abermals stimmte der Junge mit einem Nicken zu, erwiderte dann jedoch ein leises „Ja, Herr“. Danach verbeugte er sich vor Khalid und verschwand wieder. Der Blick des Hausherrn blieb indessen auf das Tor gerichtet. Noch war niemand zu sehen, aber er wusste, dass es nicht mehr lang dauern würde.
Keeran Neshat. Der Rabe.
Der Mann kam nicht zum Tee. Keeran roch nach verbrannten Verträgen, nach Misstrauen, nach Macht, die auf dem Rücken anderer gestapelt wurde. Khalid hatte längst gehört, was man über ihn sagte, selbst in den verstaubten Räumen des Hofes. Jeder Händler zwischen Abu Kabir und der Nordküste kannte seinen Namen, aber niemand sprach ihn aus, ohne vorher einen Blick über die Schulter zu werfen. Ein Händler, sagte man. Ein Stratege. Ein Aasfresser, korrigierten andere. Khalid wusste das. Sein Kiefer spannte sich abermals. Sein Bruder hätte Keeran mit offenen Armen empfangen, hätte gelächelt, gefragt, wie die Reise war oder ob das Knie schmerzte. Farid konnte das. Für ihn war es keine Geste, sondern einfach seine Art. Doch jetzt war Farid tot.
Khalid hatte seinen Bruder geliebt. Aber gleichzeitig hatte er ihn auch gehasst oder das, was aus ihnen geworden war. Denn alles begann mit Saliha. Sie war nie eine bloße Fantasie gewesen. Kein fernes Bild, keine stille Sehnsucht. Sie war real. Warm, nah und greifbar. Es hatte Nächte gegeben, in denen sie nur Gespräche führten, doch es gab auch Stunden, in denen mehr zwischen ihnen lag. Berührungen, zögernd erst, dann mit jenem Hunger, den man nur kennt, wenn etwas endlich greifbar scheint. Er hatte sie geliebt und sie ihn. Davon war Khalid überzeugt gewesen, zumindest vor einer sehr langen Zeit. Er hatte ihr einen Antrag gemacht. Kein offizieller, aber doch ernst gemeint. Ein Versprechen. Er würde bald mit seinem Vater sprechen. Er würde alles vorbereiten. Sie hatte nichts dagegen gesagt. Nur gelächelt und genickt. Und dann…dann hatte sie Farids Antrag angenommen. Khalid hatte nie erfahren, was genau zwischen ihnen geschehen war. Ob es ein taktisches Spiel war oder ein spontanes Entflammen. Jetzt waren beide tot und zurück blieb nur ihr Sohn: Jamil. Der Junge trug nichts von Farid in sich, sondern nur von seiner Mutter. Khalid erkannte sie in jedem einzelnen Blick. Diese feine Spannung im Gesicht. Das schmale Lächeln, das nie ganz aus dem Schatten trat. Er konnte ihn nicht ansehen. Nicht, weil der Junge etwas falsch machte, sondern weil er einfach zu sehr wie seine Mutter war.
„Herr, er ist da“, hörte er Narins Stimme hinter sich. Ruhig, aber nicht ohne eine gewisse Beklommenheit. Ein letztes Mal fiel Khalids Blick auf den Hof unter ihm, das leere Steinbecken, die Risse im Mauerputz, der tote Feigenbaum. Dann wandte er sich zum Gehen. Als er die steinernen Treppenstufen hinabstieg, hallte jeder Schritt in der Stille wider. Er trug keinen Schmuck, nur ein schlichtes Gewand aus sandfarbenem Leinen, mit einem dunklen Gürtel. Es gab kein unnötiges Zeichen von Reichtum an ihm. Als er durch das große Portal auf den Vorplatz trat, blendete ihn die Sonne für einen Moment. Staub tanzte in der Luft. Das Kamel stand noch am Rand, ein Sklave hielt die Zügel. Keeran war schneller mit Worten. Ein Hauch von etwas huschte dabei über Khalids Gesicht. Nicht Spott, aber auch kein Lächeln. Eher eine stumme Müdigkeit, die man sich abtrainiert hatte, aber die manchmal doch durchbrach. „Das sind wir doch alle“, sagte er. Dann trat er einen Schritt zur Seite, mit jener kontrollierten Eleganz, die ihn nie ganz verlassen hatte. „Die Schatten hier draußen sind nicht mehr das, was sie einmal waren.“ Er wies mit einer offenen Geste auf den Durchgang, der in den kühleren Innenhof des Wohntrakts führte. „Komm. Es ist zu heiß, um hier draußen zu reden.“
