27-07-2025, 04:25 - Wörter:
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 27-07-2025, 04:41 von Naila Castellanos.)

Und doch schien er hier nicht derjenige zu sein, der fehl am Platz war. Ihm gegenüber stand jemand, der seine Augen zusammenkniff ob der gleißenden Helligkeit des Hofes, der seinem Bruder gehört hatte. Jahrelange Abwesenheit hatten ihn seinem Land entfremdet, da konnte er auftreten wie er wollte; die Aasfresser kreisten längst über seinem Kopf und warteten darauf, bis er der klammen Wüste nicht mehr standhalten konnte, oder nicht mehr wollte.
Wie der Rabe es doch genoss, wenn man ihm nichts vormachte.
All das musste er nicht erst lesen und sich erarbeiten — es wurde ihm auf einem Silberteller präsentiert von jemandem, der sich keine große Mühe machte, sein Wesen zu verstecken hinter einem kontrollierten Lächeln und dem Gift einer Schlange. Für Keeran war das dünne, fadige Ziehen der Mundwinkel eine angenehme, kühle Erfrischung, die er gerne annahm als Abwechslung und Grund, seine Karten für die Al-Zamani neu anzuordnen. Das Spiel hatte natürlich längst begonnen; ein Umstand, dem sich beide Spieler bewusst zu sein schienen.
„Möglich. Oder vielleicht ist es der Mensch, der sich an die Schatten gewöhnt hat“
, ließ Keeran seinen Blick kurz über den Hof schweifen, wobei er dem Gebäuden mehr Beachtung schenkte als den Beiwerk-Menschen um ihn herum. Trotz des spärlichen Schattens hausten in den Fassadenrissen allerlei Ungeziefer. Käfer, Würmer, Mäuse, Schlangen… Ob Khalid etwas dagegen unternehmen würde?„Gerne.“
Mit einer Spur von Anspannung, akribisch verdrängend, stützte er sich auf seinen Gehstock, als er sich in Bewegung setzte und seinem Gastgeber zurück in das Innenleben des Hofes folgte; dort, wo die Schatten sich nicht von der Sonne vertreiben ließen. Die offene Architektur des Gebäudes hatte zur Folge, dass eine leichte, trockene Brise durch die Gänge wehte, während draußen dick die Luft stand. Ob Khalid, wenn er alleine war, die Geisterhand der Verstorbenen auf seiner Schulter spürte? Keeran gab der Stille den Raum, sich zu entfalten; lediglich sein Stock hallte in unregelmäßigen Abständen auf dem Stein wider wie ein Eindringling, der das Ruhen der Toten störte. Ein Aufwirbeln von Staub, das Stören von Erinnerungen. Flüstern, das nicht gehört werden konnte, weil er zugegen war. Erst, als er hinter dem Elefantenzüchter in den Empfangsraum mit Liegen und Essensschalen trat und den Schal zurück über seine Schulter warf, wo er als Verlängerung seines Turbans herunter fiel, durchbrach er das Schweigen, nicht aber die Schatten der Vergangenheit. „Ah, wie ich es in Erinnerung habe. Deine Familie fiel schon immer mit Gastfreundlichkeit auf“
, merkte er scheinbar gedankenlos an, dabei waren seine Worte präzise gewählt. Das Lächeln ließ nicht deuten, ob er sich an Sarkasmus bediente, und es währte zu kurz, um viel hinein zu interpretieren. Keeran ließ sich aus seinem Reise-Abaya helfen und setzte sich auf die gepolsterte Liege, das Bein mit dem kaputten Knie ausgestreckt und den Stock neben sich gelehnt. Die Lippen für einen Moment zu einer schmalen Linie verzogen und den Blick konzentriert auf einen Punkt vor sich, atmete er den stechenden Schmerz weg, der durch sein Bein jagte, bevor er sein Gewicht verlagerte. Erst, als sich seine Gesichtszüge wieder entspannten, lehnte er sich etwas nach vorne und tauchte seine Hände in das frische Rosenwasser, sein Grau wieder auf seinem Gegenüber ruhend mit oberflächlicher Freundlichkeit, die weder in die ein oder andere Richtung zu deuten war; es war schlichtweg ein Benehmen, dem sich ein Händler bediente, um Geschäftsbeziehungen zu wahren, ohne über die Stränge zu schlagen. „Hast du dich wieder einleben können? Die Umstellung muss sicher enorm gewesen sein.“
Längst hatte er sich damit abgefunden, der Gesprächstreiber zu sein im Angesicht eines Riesen, der gelernt hatte, mit seinem Körper zu sprechen. Das war in Ordnung für ihn — sie hatten es hier beide mit einem Ungleichgewicht zu tun, dem sie Herr werden mussten.