05-07-2024, 04:40 - Wörter:

Dass Aleena keinen Humor hatte, zumindest nicht seinen Humor, wusste er; vielleicht überraschte sie ihn deswegen so, als sie ihn spielerisch mit dem Knie anstupste, wie er es sonst nur von seiner Schwester kannte. Mit seinen Geschwistern zankte er sich regelmäßig, nahm Jorin lachend in den Schwitzkasten, klopfte Erik viel zu fest, aber breit grinsend auf die Schulter. Aleena fasste er immer mit Samthandschuhen an, weil er das Gefühl hatte, sie würde in seinen Händen zerbrechen, aber auch, weil diese Art der Zuneigung nie von ihr kam. Im Gegenteil, eigentlich nahm sie immer Abstand von ihm oder bewahrte - zumindest mit ihrer Haltung oder ihren Worten - eine höfliche Distanz. Leif war ehrlich gesagt versucht, zurückzustupsen, lehnte sich dann aber doch nur auf seinen Händen nach hinten und unterzog seine Ehefrau einer amüsierten Musterung. “Ach so?”, hakte er nach, bei weitem nicht so flüsternd wie sie. “Sag bloß, du hast Tag und Nacht nur am offenen Fenster gesessen und auf meine Rückkehr gewartet.” Wie die holde Maid eingesperrt in einem Turm und bewacht von einem Drachen, ein gängiges Märchen in Arcandas. Bei dem Gedanken schlich sich ein Grinsen in seine Mundwinkel, ein schmales, fast schief geratenes Grinsen. Er provozierte sie und machte keinen Hehl daraus, es zu verstecken. In der Hoffnung, aber nicht in der Erwartung, sie würde sich einmal auf seine Herausforderung einlassen.
Die folgenden Worte trafen tiefer, als sich Leif gerne eingestehen würde, das sah man ihm auch im Gesicht an. Seine Züge glätteten sich, sein Grinsen nur noch ein Echo von dem, was er ihr zugeworfen hatte. Obwohl sie sich beide der Distanz zwischen sich bewusst waren, sprachen sie doch nie den Mammut im Raum an; generell sprachen sie eigentlich überhaupt gar nichts an, was sie wirklich beschäftigte. Was auch immer für Düfte in dem Badewasser seine Sinne benebelt hatten, Leif schien heute doch erstaunlich offen für die ehrlichen Gefühle seiner Frau. Besser speicherte Aleena sich diese Erinnerung ab, denn oft würde sich das nicht wiederholen.
Ehrlich gesagt wusste er auch gar nicht, was er darauf antworten sollte. Zwar war er es, der sie gefragt hatte, was sie beschäftigte, und er hatte diese Antwort von ihr eigentlich auch erwartet. Aber so verletzlich, wie sich seine Frau gab, konnte er sie nicht einfach mit der erdrückenden Wahrheit konfrontieren - nicht so direkt und schonungslos zumindest, wie er es sonst immer tat. Während er ihr Gesicht studierte, fiel ihm auf, dass es ihm heute gar nicht so zuwider war, sie mit Samthandschuhen anzufassen; wortwörtlich und rhetorisch. “Ich weiß…”, gab er schließlich zu und räusperte sich, weil er merkte, dass er seine Stimmbänder angespannt hatte. “Und ich weiß auch, dass du Angst davor hast, was noch kommen wird. Aber ich kann dir die Angst nicht nehmen.” Zum ersten Mal nahm er Worte in den Mund, mit denen er Aleenas Sorgen zu beschreiben versuchte. Sie waren holprig, fühlten sich aber nicht so falsch an, wie er gedacht hatte. Was war überhaupt dieses über Gefühle reden? Ein wenig mehr feige und er hätte sich dem einfach entzogen, ein wenig rücksichtsloser und er hätte die Frühlingsländerin alleine mit ihren Sorgen klarkommen lassen. Stattdessen aber fand er sich, wie er stirnrunzelnd ein Loch in seinen Oberschenkel starrte, die Worte nur zurückgehalten von dem kleinen Funken Stolz eines Mannes, der die einfachen Gesten von liebeskranken Vollidioten nie verstanden hatte. Vielleicht war es aber genau das, was Aleena brauchte, auch wenn es Leif Überwindung kostete, sowas überhaupt vorzuschlagen. “...soll ich dir Briefe schreiben? Das nächste Mal, mein ich.” Noch im selben Krieg, wenn man ihn fragte, aber in der nächsten Schlacht an der Front. Das nächste Mal, wenn er sich unter Beweis stellen konnte und seinem Ruf folgte, dort, wo ihn sein Schicksal hinzog. Dass er sich immer für Krieg gegen Castandor entscheiden würde, konnte Aleena nicht ändern. Aber er konnte ihr vielleicht die Angst nehmen, wenn sie regelmäßig von ihm hörte.
