
Es konnte so einfach sein. Wenn einer von beiden Jahre zuvor nur einen Schritt mehr gewagt hätte, dann säßen sie jetzt vielleicht nicht hier in dieser künstlichen Konstellation, die Väter, Mütter und höhere Kräfte zusammengewürfelt hatten. Aber hatten sie nicht alles getan, um sich aneinander zu gewöhnen? Tatsache war, dass Leif irgendwann aufgehört hatte, gegen sich selbst zu kämpfen. Immer, wenn er in Aleenas Gesicht blickte, dann sah er seine Pflicht der Heimat gegenüber und nicht die Frau, mit der er eventuell gerne Zeit verbrachte. Es war einfacher gewesen, damals, als er nichts an ihr hatte finden können, was ihn anzog, nichts, was ihn herausforderte, nichts von der rauen Schönheit des Winterlandes, was ihn dazu bewegte, ihre Nähe zu suchen. Wenn er sie als seine Pflicht betrachtete, dann sagte er sich los von seinem schlechten Gewissen ihr gegenüber, weil er sie einfach nicht so behandeln konnte, wie sie es verdiente. Es machte gewisse Interaktionen einfacher, erhöhte aber auch die Last auf seinen Schultern und manchmal, da wollte er sich einfach nicht damit auseinandersetzen. Auch heute trug sie äußerlich keine Spur von Winterland mit sich und doch hatte er das Gefühl, als trug sie mehr von seiner Heimat
in sich, als er jemals an ihr gesehen hatte. Scheiß auf das leichte, dunkelblaue Kleid (ob sie ihn damit hatte beeindrucken wollen oder nicht), die aufwendige Hochsteckfrisur oder die rosigen Wangen, es war die Art, wie ihre blauen Augen in seinem Gesicht suchten, dass er über seine Pflicht hinaussah und sie nicht nur wie sein Eheweib betrachtete, sondern wie eine Frau. Mit all ihren Ängsten und Sorgen, die sicher ihre Daseinsberechtigung hatten und wo Leif auch endlich mal etwas tun konnte, um sie ein wenig einzudämmen. Auch, wenn sein Eingeständnis deutliche Grenzen hatte, die er unbedingt deutlich machen musste.
“Aber erwarte keine Gedichte. Sowas mach ich nicht.” Das war was für Männer, denen Blumen im Kopf wuchsen, ganz klar. Tatsächlich war Leif kein schlechter Schreiber… wenn es um sachliche Berichte ging. Mit Kunst beschäftigte er sich ungefähr genauso viel wie mit Blumen im Haar seiner Frau, wobei ihm diese jetzt auch endlich mal auffielen.
Wann hatte er eigentlich angefangen, die Zeit mit Aleena zu genießen, als
erfrischend zu empfinden? Es war besser so, wenn er den Übergang nicht mitbekam und jetzt einfach hinnahm, dass sich seine Mundwinkel bei ihren Worten zu einem schiefen Grinsen verzogen. Die Augenbrauen leicht angehoben, betrachtete er sie von der Seite, wie sie frech ihr Kinn hob, was schließlich sogar ein brummendes Lachen in seiner Brust auslöste.
“Natürlich. Hat diese schöne Zeit beinhaltet, in Rosenbusche zu fallen?” Entgegen seiner neckenden Worte zupfte Leif die Blume erstaunlich feinfühlig aus Aleenas Haar und legte sie auf dem Nachttisch ab, dort, wo die Karaffe mit dem Wasser noch halb gefüllt stand. Man sah ihm seine Entspannung an, als er sich weiter übers Bett hievte und auf der anderen Seite niederließ, um seinen Kopf endlich in das verdient weiche Federkissen zu drücken. Immer noch schwer lastete der Unmut über die vergangenen Tage, aber Leif wollte es gut sein lassen für heute. Um sich abzulenken, richtete er seinen Blick auffordernd auf Aleena.
“Warum kommst du nicht her und erzählst mir, wie du deine Tage verbracht hast?” In seiner Stimme schwang eine kleine, harmlose Provokation mit. Einen Arm hinter seinem Kopf verschränkt, blieb die andere Körperseite offen für eine blonde Prinzessin, die seinen Worten folgen und sich angelehnt an seiner Schulter in Erinnerungen verlieren durfte. Und er würde zuhören. Dieses Mal würde er zuhören.