25-07-2024, 13:23 - Wörter:

Dennoch verzogen sich seine Mundwinkel zu einem Halbgrinsen, als er automatisch prüfte, ob sein Gegenüber sich tatsächlich eine grauere Mähne zugelegt hatte. Vielleicht war er auch ein bisschen stolz darauf, dass er seinen Eltern so viele Sorgen bereitete, von seinem eigenen Sohn würde er nichts anderes erwarten. Ein Stelhammer war kein Stelhammer, der das Schicksal nicht am laufenden Band herausforderte und seine Eltern in den Wahnsinn trieb. „Im Vergleich zur Einöde war das da drüben Teetrinken. Ich hab nichtmal eine neue Narbe.“ In einem anderen Umfeld hätte Leif sich vielleicht zusätzlich über Kjell lustig gemacht, der sich aus eigener Dummheit eine Narbe umgezogen hatte, oder er hätte das Vergangene etwas ausgeschmückt, um seinen Gegenüber mit Kriegsgeschichten zu unterhalten. Doch tatsächlich war ihm daran gelegen, dass seine Eltern sich nicht mehr Sorgen um ihn machten, als nötig war, besser noch weniger, als nötig war. Gerade Ariald hatte ein ganzes Land, um das er sich Gedanken machte (es stand ihm seit Wochen wortwörtlich ins Gesicht geschrieben), und Frigga… „Wie geht es Mutter?“ Leif entfernte sich aus der einnehmenden, großen Präsenz und griff nach dem Wasserkrug, von dem er ausging, dass er für ihn gedacht war. „Ich hatte noch keine Gelegenheit, sie aufzusuchen, aber ich würde gern den Abend mit ihr verbringen.“ Ehrliche Worte und ein fester Blick verrieten, dass er seine Pflichten als Sohn durchaus wahrnahm und sie priorisierte. Kurz dachte er an @Jorin Stelhammer, den er auch noch allein erwischen wollte, aber das musste dann eben warten. Aufgaben wollten erledigt werden und Leif konnte sich weder teilen, noch konnte er der Zeit befehligen, langsamer zu laufen.
Eine solche Aufgabe hatte sich schon vor Monaten als zu groß herausgestellt, als dass eine Person alleine darüber verfügen konnte, und die Früchte der Aufgabe lagen nun in der Hand des Königs und dann in der Hand seines Sohnes. Rasch flog Leif über die Zeilen, die ihm schon bekannt waren. Kurz nach der Abreise aus Spring‘s Court hatte ein Bote die Winterländer eingeholt und die Worte auf Geheißen von Leif erst laut verkündet, dann das Schreiben den Händen des Kronprinzen überlassen. „Hm“ , brummte er zustimmend, ohne den Blick von dem Pergament zu wenden. Auch er wusste nicht, wie Matariyya Männer rekrutierte und wie er sich die Zusammenarbeit der beiden Länder überhaupt vorstellen sollte. Währenddessen blieb sein Blick wieder an den Worten hängen, die ihm schon das letzte Mal aufgefallen waren. Für unsere Brüder und Schwestern in Eastergold Meadow, die im Kampf um unser Land ihr Leben ließen. Mühsam unterdrückte er ein Schnaufen, weil er die Ernsthaftigkeit des Schreibens vor Ariald nicht ins Lächerliche ziehen wollte, so lächerlich er diese Wortwahl auch fand. Mit diesen Worten sollte es also ein Weltkrieg werden. In einem Weltkrieg übertrieb man in seinen Worten, um die Bevölkerung auf seine Seite zu ziehen. Gut. Es war der erste Schritt zur Veränderung, die sich Leif für sein Land wünschte, der erste Schritt zu dem Ziel, was er als zukünftiger König anstrebte. Aber auch das verschwieg er vor seinem Vater, als er endlich das Schreiben senkte und sein Blick ernst aufbegehrte.
„Der Schreiber hätte dir den Bericht eigentlich schon zukommen lassen müssen“ , nickte er in Richtung des vollen Schreibtisches. „Archimedes Trakas kapitulierte sofort, nachdem wir durch die Stadttore gebrochen sind. Es gab acht Todesopfer in Eastergold Meadow, mit dem Fürsten selbst neun. Innerhalb von neun Stunden haben wir die Stadt sicher einnehmen können und die Wanderheilerinnen konnten sich um die Verletzten kümmern. Eine rasche Übernahme mit mehr Verlusten auf unserer Seite als auf Seiten der Stadt.“ Mit keinem Wort beschönigte er die Taten, doch es war ihm wichtig, ein anderes Licht auf die Situation zu werfen für jemanden, der im Zweifelsfall nur die Kriegsansprache von Augusto gelesen hatte. Dafür waren sie doch hier, oder nicht? Um sich über die Situation zu beraten und das weitere Vorgehen zu besprechen. Leifs Blick verdunkelte sich, weil er direkt mit den Fakten fortfuhr, die sie dieses Mal auch persönlich betrafen. „Wir haben fünf unserer eigenen Männer verloren, die sich freiwillig für die Front gemeldet haben. An den Rammböcken.“ Er hatte jeden von ihnen gesehen, hatte sie sehen wollen; auch, wenn er zu dem Zeitpunkt noch zu sehr vom eigenen Adrenalin beeinflusst gewesen war, dass er den Groll nicht hatte abschütteln können, nicht weiter ins Land vorgedrungen zu sein. Im Nachhinein war er sich hingegen seiner Verantwortung bewusst geworden. Diese Männer waren als freie Männer gestorben, aber er war es gewesen, der sein Einverständnis gegeben hatte, sie an den Rammböcken kämpfen zu lassen. Leif nahm einen Schluck aus seinem Krug und versuchte damit, den aufkommenden Knoten in seiner Brust zu lösen, bevor er sich dem großen Tisch zuwandte, auf dessen Fläche eine Karte mit Punkten und Wegen markiert war, die er selbst noch nicht kannte. „Sind das die offenen Wege nach Castandor? Was ist mit der Seeroute?“ Es stand außer Frage, dass sie ihre Grenzen zu verteidigen hatten — hoffentlich mit mehr Strategie, als das, was sie in der kurzen Zeit vor der Übernahme Eastergold Meadows an Heer zusammengetrommelt hatten.