07-04-2024, 10:21 - Wörter:
Und genauso, wie sie sich jedes Mal fühlte, wenn sie die Männer beobachtete, fühlte sie sich jetzt im Moment. Wie zwei Schwerter, die aufeinander prallten. So viel Kraft, die sie aufbringen musste, um dabei nicht durchzubrechen. Sie musste kämpfen. Sie musste gegen den Wunsch ankämpfen einfach aufzugeben, auch wenn er manchmal so groß war, dass sie Schwierigkeiten hatten morgens aus dem Bett aufzustehen. Es war ein Kampf gegen Windmühlen. Es war ein ewiger Kampf gegen die Emotionslosigkeit ihres Mannes, gegen seine fehlende Aufmerksamkeit und Sinn für Schönheit. Sie waren schwarz und weiß. Aleena war weiß, vereinte alle Farben in sich und Leif war schwarz und damit die Abwesenheit von Farbe. Jedenfalls wenn man sie von außen betrachtete. In der Realität sah es völlig anders aus, denn Leif hatte Farben. Viele sogar. Aber eben andere, als Aleena.
Aleena musterte ihren Mann, als dieser plötzlich in seinem Leinenhemd vor ihr stand und Worte preisgab, von denen sie sich nicht sicher war, ob sie ehrlich gemeint waren. Er sprach von Trauben pflücken und die junge Frau konnte sich nicht eines gewissen gedanklichen Bilder erwehren, dass sie schmerzhaft glücklich machte. Sie wusste, dass Leif keine Blumen mit ihr pflücken würde, aber ehrlicherweise war es genau das, was sie sich tief in ihrem Inneren wünschte. Nicht das Pflücken an sich, aber die Annäherungen an ihre Welt. Aleena war selbst eine Blume, die sich durch die dicke Schneedecke des Winterlandes kämpfte. Es war, als hätte er mit diesen Worten direkt in ihr Herz getroffen. Stumm nickte sie und versuchte sich an einem amüsierten Lächeln inklusive leisem Schnaufen. Sie wollte zeigen, dass sie verstanden hatte, dass es Sarkasmus war. Reine Ironie. Sogar eine Parodie. Auch wenn es insgeheim anders war.
"Ich glaube deine Krieger trinken lieber Met und Bier, anstelle von lieblichen Wein", stimmte sie grinsend in seine Witzeleien ein (waren es überhaupt welche? Seine Miene war schwer zu entziffern...). Aleena schüttelte abschließend den Kopf, als hätte sie selbst festgestellt, wie dämlich diese Aussage von ihr doch gewesen war. Die blonden Haarspitzen tanzten fröhlich umher, während ihre blauen Augen noch immer auf dem gut gebauten Krieger von ihr ruhten.
Als ihr Ehemann an ihr vorbei trat, wirkte es einen Moment so, als hätte er ihren Abstand irgendwie falsch eingeschätzt. Automatisch ging sie einen kleinen Schritt zur Seite, damit er nicht gegen sie stieß. Im gleichen Moment legte sich plötzlich seine überdimensional große und gleichzeitig angenehm warme Hand auf ihre Schulter. Es war beinahe liebevoll. Aleena blickte erst auf ihre eigene Schulter, ehe sie ihre Augen zu ihrem Mann hob. Da war die Berührung doch schon längst wieder vorbei. Die kühle Luft an der Stelle, wo zuvor noch seine Hand gelegen hatte, fühlte sich beinahe etwas unangenehm an. "Danke", murmelte sie leise, obwohl sie gar nicht wusste, ob er sie überhaupt noch hörte. Oder ob er wüsste, wofür sie sich bedankte.
Als Leif erzählte dass es kaum etwas gegeben hatte, was ihm gefährlich werden konnte, konnte sie die Spur Enttäuschung aus seiner Stimme raus hören. Vielleicht auch nur, weil sie ihn so gut kannte. Doch das Flackern in seinen Augen sprach mehr, als tausend Worte. "Du hast deine Männer gut trainiert...", fing sie an zu reden und wusste plötzlich nicht, wie sie weiter machen sollte. Sie konnte diese Enttäuschung weder verstehen, noch lindern. "Eure Kampfkunst ist auch über unsere Grenzen hinaus bekannt. Es war reiner Selbstschutz, dass sie sich ergeben haben", erzählte sie weiter und hatte plötzlich wieder einmal das Gefühl, etwas Dummes gesagt zu haben. Natürlich wusste er das schon längst. Also versuchte sie es noch einmal. "Ich kann mir vorstellen, dass..." - ja, was konnte sie sich vorstellen? Eigentlich nichts von alldem. "... ihr euch mehr vorgestellt habt", endete sie den Satz und versuchte sich an einem aufmunternden Lächeln.
Das Wasser, dass ihr kurz danach angeboten wurde, nahm sie dankend an. Wow, ihr war plötzlich ziemlich warm geworden. Beinahe heiß. Mit großen Schlucken leerte sie das Glas in einem Zug. Sie hatte gesagt, dass sie verstehen konnte. WAS sollte sie verstehen? Dass man es schade fand, keine Menschen zu töten? Dass man es schade fand kein Blut zu vergießen? Dass man lediglich ein normaler Feind war und nicht DER Feind, der Tod und Verderben brachte?
Ihr wurde übel.
